Anime Einführung

Auf dieser Seite finden Sie eine Einführung in das Thema Animes. Beachten Sie dazu bitte auch das Glossar.

Vorwort

Macross

Macross, ein berühmtes Mecha Anime

Im Nachfolgenden versuche ich zu erklären was Animes sind, ich tue dies aber mit besonderem Augenmerk auf die Art von Animes die ich persönlich liebe, schaue und sammle (siehe Alain's Favorite Animes), das hier gesagte trifft auf reine Mecha Animes (wie etwa Macross) oder Kampfsport Animes (z.B. Dragonball) nur teilweise zu. Ein Anime, auf das das hier gesagt voll und ganz zutrifft, wäre etwa Neon Genesis Evangelion.

Weiter meine ich, wenn ich über westliche Trickfilme schreibe in erster Linie den amerikanischen Mainstream, nicht die vor allem in Europa beheimatete und vollständig unterschiedliche Underground Comics Welt. Dies ist aber auch richtig so, Animes sind in Japan schliesslich ebenfalls Mainstreamprodukte.

Zusammenfassung

Der Begriff Anime bezeichnet Trickfilme aus Japan, die fast alle Themen behandeln und für ein Publikum jeden Alters hergestellt werden. Diese basieren häufig auf Mangas, den japanischen Comics.

Neben ihrer völlig eigenen Bildersprache bieten sie, da sie aus einer völlig unterschiedlichen Kultur stammen, einen ungewohnten und spannenden Blick auf das Leben und unsere Welt. Die Vielfalt der Themen als auch die anspruchsvolle Art, mit der diese behandelt werden, eröffnen dem westlichen Zuschauer ein Universum, in dem vieles unbekannt und hinter jeder Ecke eine Überraschung wartet. Wenn man sich die Mühe macht diese Welt mit offenen Augen zu betrachten und den Dingen auf den Grund zu gehen wird man mit interessanten Einblicken in Kultur und Seele Japans belohnt.

Formale Gestaltung

Allgemeines

Allgemein lässt sich sagen, dass Animes stark mit den Ausdrucksmitteln des realen Films arbeiten und diesen weitgehend immitieren. Focuseffekte (z.B. unscharfe Gegenstände im Vordergrund) sind auch bei uns weit verbreitet, in Japan sind darüberhinaus aber z.B. auch Linseneffekte (Spiegelungen einfallenden Lichts im Objektiv), welche beim realen Film nach Möglichkeit vermieden werden, sehr beliebt. In neueren Produktionen (z.B. Ghost in the Shell) werden viele weitere, nur durch Computer erzeugbare Effekte wie etwa perspektivische Verzerrungen bei Veränderung der Brennweite eingesetzt.

Auch in der Bildgestaltung wird stark auf die Ausdrucksformen von Hollywood zurückgegriffen. Meist wird mit fixen Kameraperspektiven und den klassischen Methoden wie Totalen, Nahaufnahmen, Zooms, Fahrten und Schwenks gearbeitet. Gerade neuere Produktionen wie etwa Neon Genesis Evangelion erzeugen so viel eher den Eindruck, im Citizen Kane zu sitzen als in einem Tom & Jerry Cartoon.

Durch all diese Mittel wirken die Bilder und Geschichten sehr viel realer. Wichtig ist dies besonders bei der Beziehung zwischen Zuschauer und handelnden Figuren. Während Bart Simpson jederzeit klar als Comicfigur erkennbar ist und so eine starke emotionelle Bindung des Zuschauers schon von vornherein ausgeschlossen wird, ist dies bei den meisten Animes anders. Die Figuren sind viel eher Abbildungen realer Menschen und Wesen mit denen der Zuseher mitlachen aber auch mitleiden kann.

Personen

Extrem grosse Augen

Extrem grosse Augen

Sicherlich die bekannteste Eigenheit von Animes sind die grossen Augen (und entsprechend grossen Köpfe) - ein Trend der z.B. bei Disney ebenfalls unverkennbar ist. Dadurch wirken besonders junge Frauen besonders kawaii (süss, hübsch), verstärkt wird dies dadurch, dass sie noch jünger gezeichnet werden als sie sind. Wichtiger als die rein ästhetische Seite ist die Tatsache dass die Augen der Spiegel der Seele sind und es damit den Zeichnern möglich wird mehr über das Gefühlsleben der Figuren auszusagen (siehe auch Shonen und Shojo Animes). Eine der am häufigsten gestellten Fragen über Animes ist die, warum, wenn Animes doch aus Japan kommen, alle Figuren westliche, also runde Augen haben. Diese lässt sich nun recht einfach beantworten: Mit der Herkunft der Personen hat die Form der Augen rein gar nichts zu tun, Japaner empfinden diese überhaupt nicht als unasiatisch und sie begegnen dieser Frage eher mit Unverständnis. Das gleiche gilt im übrigen für die Haarfarbe, die in Animes eine symbolische und ästetische Funktion hat. Werden kaukasische Personen dargestellt erkennt man dies meist an der grossen Nase.

Superdeformed Natsumi

Superdeformed Natsumi

Generell sind Animes in einem viel realistischeren Stil gezeichnet als westliche Cartoons: So wird die Anatomie zwar stark idealisiert, sie ist aber doch nahe an der Wirklichkeit. Eine sehr gute Kenntnis der menschlichen Anatomie ist eine zwingende Voraussetzung, um Animes zeichnen zu können. Die grosse Ausnahme sind die sogenannt superdeformed Figuren, bei denen die Proportionen extrem stark verfremdet, verkleinert bzw. verniedlicht werden, so dass selbst furchterregende Figuren niedlich (kawaii) wirken. Diese kommen in erster Linie in den OP/ED Sequenzen vor, werden aber auch in Slapstick Szenen verwendet.

Geschichten in denen Tiere die Hauptrollen übernehmen sind in Japan im übrigen weniger verbreitet. Zwar kommen Tiere in Animes fast immer vor, sie übernehmen dort aber meist nur die Rolle eines Maskottchens oder in seltenen Fällen Nebenrollen.

Gegenstände

Natsumis modifizierte Suzuki GSX-R750

Natsumis modifizierte Suzuki GSX-R750

Noch extremer sichtbar wird die Realitätsnähe von Animes bei den Hintergründen (z.B. Städte), Fahrzeugen aller Art (Mecha) und Zubehör. Wenn z.B. Natsumi (You're under Arrest) zur Arbeit fährt, benutzt sie dazu eine Honda Motocombo (auf denen sogar die Beschriftungen der Bremskabel sichtbar sind), muss auf die Durchfahrt eines Zuges warten der mit Garantie 1-1 einem echten abgezeichnet wurde und sie stellt auf einer perfect gezeichneten Casio G-Shock fest, dass sie zu spät ist. Der Herstellung eines Animes gehen in der Regel aufwendige Recherchen voraus, wie meist im Abspann festzustellen ist.

Auch bei nicht-existierenden Dingen (meist Raumschiffen etc.) wird auf Realitätsnähe geachtet: Die Zeichner nehmen zwar Technologie, die nicht existiert, diese wird dann aber sehr detailliert dargestellt und erklärt. In dieser Beziehung sind Animes mit Jules Verne oder auch der Fernsehserie Enterprise vergleichbar. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist Macross: Mit den technischen Daten der diversen Raumschiffe liessen sich ganze Bücher füllen.

Eine mögliche Erklärung für diesen starken Gegensatz zum westlichen Cartoon könnte darin liegen, dass im Westen Comics schon immer eine eigenständige Kunstform waren, dies in Japan aber nicht immer so war: Der Anfang der Animes liegt unter Anderem darin begründet, dass im vom Krieg zerstörten Japan das Geld fehlte um echte Filme à-la-Hollywood zu drehen. Die Japaner behalfen sich damit, dass sie die Filme einfach zeichneten. Der Ursprung des westlichen Cartoons liegt aber eben in amüsanten Kurzgeschichten ohne eigentlichen Inhalt (Steamboat Willy von Walt Disney etwa), auch sind viele westliche Cartoons reiner Slapsticks (z.B. Tom & Jerry), eine Form die in Japan kaum bekannt ist. Dadurch war der westliche Cartoon formal immer viel freier während Animes eigentlich gezeichnete Fernsehserien bzw. Filme waren.

Art der Erzählung

Nadia

Nadia

Das typische Anime erzählt in einer begrenzten Anzahl Folgen (meist so um die 30 für eine Fernsehserie, ca. 6 für ein OAV) eine abgeschlossene Geschichte. Häufig werden dabei noch sekundäre Handlungsbogen untergebracht, z.B. bilden bei Nadia jeweilen 4 Folgen eine abgeschlossene Einheit die sich aber nahtlos in die übergeordnete Handlung einfügt

Während im westlichen Cartoon die Akteure nur eine Funktion (Held, Bösewicht, etc) übernehmen, ansonsten aber völlig austauschbar sind, sind sie in Animes von zentraler Bedeutung. Die Personen sind echt und haben eine gewisse Tiefe, d.h. sie haben eine Vergangenheit, Persönlichkeit und Wünsche, Stärken und Schwächen. Weiter sind sie meist nicht einfach in eine Schublade abzulegen: Oftmals entpuppt sich der Bösewicht als Mensch mit nachvollziehbaren Beweggründen. Es kommt auch durchaus vor, dass dieser die Seite wechselt.

Weiter ist die Entwicklung der einzelnen Personen sehr wichtig. Entweder der Betrachter erfährt erst nach und nach die Vergangenheit oder die wahren Motive einer Figur oder aber - fast noch häufiger - diese durchlebt eine Veränderung in ihrer Art zu handeln oder zu denken. Dies führt auch dazu, dass ein Anime im allgemeinen von Anfang bis Ende gesehen werden muss, pickt man sich eine beliebige Folge heraus, verpasst man meist die Hälfte der Geschichte oder versteht die Handlung überhaupt nicht.

Musik

Dem Soundtrack, besonders den OP/ED und Imagesongs kommt in Animes eine grosse Bedeutung zu. Diese sind fast durchwegs von guter Qualität und werden oft von den Schauspielern des Animes selber gesungen (was zeigt, dass die Ansprüche an Synchronstimmen in Japan sehr hoch sind). Es sind alle Arten von Musik, sei es klassische, Rock oder J-Pop vertreten. Am stärksten verbreitet ist natürlich der J-Pop, welcher in Japan äusserst beliebt ist und auf eine sehr starke einheimische Musikindustrie zurückgreifen kann. Wie im Film kommt der Musik durchwegs eine grosse Bedeutung zu, wenn Gefühle und Stimmungen vermittelt werden sollen.

Selbstverständlich kann der Soundtrack auf CD erworben werden, mitunter kommt es sogar vor, dass Gruppen von Sängerinnen (Männer sind in diesem Geschäft kaum anzutreffen) auch nachdem das Anime längst abgedreht ist weiter zusammen Musik produzieren. Bekannte Beispiele sind z.B. DoCo (Ranma 1/2) und der Goddess Family Club (Oh! My Goddess), die in beiden vertretene Kikuko Inoue hat selber schon Dutzende von CD besungen und auch etliche, von jeglichen Animerollen unabhängige Soloalben herausgebracht.

Inhalte

Allgemeines

Animes weisen häufig anspruchsvolle Inhalte auf. Während im Westen Trickfilme entweder gar kein Thema behandeln oder aber das immer selbe (z.B. Katze jagt Maus, Maus ist klüger und Katze verliert) über hunderte von Folgen breitgewalzt wird, behandeln Animes häufig Themen wie den Weltuntergang, Weltkriege, ökologische Katastrophen oder die Beziehung des Menschen zur Technik. Dies will aber nicht bedeuten dass Animes ausschliesslich solche Themen behandeln: Slapstickorientierte Animes erleben im Moment in Japan einen kleinen Boom, Titel wie NG Lamune & 40 Fire oder, in geringerem Masse, Slayers sind gute Beispiele dafür.

Auch vor heiklen Themen wie Vergewaltigung und Inzest oder Krankheit und Tod schrecken insbesondere Mangas nicht zurück. Animes sind in dieser Beziehung etwas zurückhaltender da aufgrund der hohen Produktionskosten meist gängige Themen ausgewählt werden die einen Erfolg mehr oder weniger garantieren.

Liebe und Beziehungen

Ranma und Akane in einer romantischen Szene

Ranma und Akane in einer romantischen Szene

Ein Thema, das auch in Japan immer wieder angetroffen werden kann, ist die Liebe. Gezeichnete Soap-Operas bei denen es in 100 Folgen nur darum geht, ob der Junge sein Mädchen bekommt oder nicht sind besonders bei Shojoanimes (Animes für Mädchen) sehr verbreitet.

Es gibt aber heute kaum mehr Animes in denen die Beziehung zwischen den Hauptdarstellern, die fast durchwegs beiderlei Geschlechts sind, keine mehr oder weniger bedeutende Rolle spielt. Es sind fast immer diese Beziehungen, die häufig sehr kompliziert sind und viel über die Psyche der einzelnen Figuren aussagen, die einer Geschichte erst an Bedeutung verleihen. Weiter müssen diese längst nicht immer eine einfache Lösung haben oder ein Happy End aufweisen. Selbst wenn es nach einem Happy End aussieht muss dies noch längst nicht der Fall sein, so erfahren wir z.B. am Ende von Nadia dass sich Nadia und Jean schon nach wenigen Jahren wieder scheiden liessen.

Sexualität

Akane und Ranma im Bad

Akane und Ranma im Bad

Neben der Liebe ist auch die Sexualität, genauer Nacktheit, ein Thema das in Japan durchaus auch 14-jährigen zugemutet wird. Serien wie z.B. Ranma 1/2 enthalten immer wieder Szenen bei denen sich die Hauptfiguren z.B. im Bad nackt begegnen (was allerdings meist in Hieben für den Jungen endet, besonders bei Akane die ja eine Kempoexpertin ist). Sollte dasselbe in einer amerikanischen Wohnstube über den Bildschirm flimmern, würde wohl der Sender abgefackelt.

Der Grund für diese Toleranz liegt darin, dass Japan ganz und gar kein prüdes Land ist: Die Trennung nach Geschlechtern in öffentlichen Bädern (in denen ausnahmslos nakt gebadet wird) wurde in Japan erst nach dem zweiten Weltkrieg auf Druck der Amerikaner eingeführt. Die Trennung besteht auch heute manchmal nur aus einem sehr niedrigen (30cm) Zaun, der nicht viel mehr als eine Unterteilung darstellt. In vielen Onsen (natürliche Termalquellen) wird heute noch gemeinsam gebadet. Auch öffentliche Toiletten in Pärken und Gaststätten sind nicht getrennt und wer als Mann nach Japan reist muss sich daran gewöhnen dass Pissoirs eine recht öffentliche Angelegenheit sind... Selbstverständlich ist auch die Geschäftstüchigkeit der Studios im Spiel: Dass die Heldinnen mindestens einmal kurz entblösst auf dem Bildschirm auftauchen ist schon fast eine Regel, den Japanern ist der Spruch Sex sells schon lange klar (siehe auch Fanservice). Diese liberale Einstellung gilt im übrigen nicht für Medien welche die Wirklichkeit abbilden (wie Film oder Fotographie), diese werden kleinlichst zensuriert.

Man darf aber nicht dem Trugschluss erliegen, dass die Beziehung zwischen den Geschlechtern in Japen irgendwie einfacher oder freier wäre. Ganz im Gegenteil, das Einverständnis der Eltern auch heute noch eine Voraussetzung wenn ein Junge ein Mädchen ausführen möchte und mehr als Händchenhalten vor der Ehe war bis vor kurzem ganz und gar unüblich. Die sexuelle Revolution, die unsere Gesellschaft grundlegend verändert hat, hat Japan erst vor wenigen Jahren erreicht.

Tod

Der Tod, in der westlichen Kinderunterhaltung weitgehend ein Tabu, ist in Animes recht häufig anzutreffen. Nicht nur dass die Hauptfiguren recht oft Waisen sind (was durchaus auch praktische Gründe hat, man kann so die Anzahl nicht direkt an der Handlung beteiligter Personen reduzieren), oft ist der Tod von Personen ein Teil der Handlung. Dies hat verschiedene Gründe. Einer davon ist dass Aktionen in Animes meist Folgen für die Akteure zeitigen. Im Gegensatz dazu kann in einem westlichen Trickfilm durchaus eine Orgie der Gewalt über die Bühne gehen ohne dass irgendjemand dabei zu Schaden kommt.

Ein anderer wichtiger Grund ist die Tatsache dass Helden in Japan sehr häufig tragische Helden sind: Die Geschichte Japans ist übersäht mit Samurais die in einen aussichtslosen Kampf zogen, den Tod fanden und dabei zu unsterblichen Helden wurden. Diese Ehre war im übrigen nicht nur den Männern vorbehalten, auch Frauen fanden auf tragischem Wege Eingang in die Legenden Japans. Allerdings liessen diese ihr Leben nur in den seltensten Fällen auf dem Schlachtfeldern sondern schieden, wie viele ihrer männlichen Kollegen, durch Seppuku, der rituellen Selbsttötung, aus dem Leben (Harakiri ist ein äusserst unhöflicher Begriff der nur verwendet wird um Missfallen mit der Praktik zu dokumentieren). Es ist im übrigen nicht wichtig ob die Sache, für die der Betreffende stirbt ein gute ist oder nicht, ob sein Tod Sinn hat oder nicht, wichtig ist nur die Tatsache dass jemand selbstlos sein Leben gibt. Dies erklärt auch, warum in Japan auch Helden aus dem zweiten Weltkrieg weiterhin verehrt werden: das Opfer eines Kamikazepiloten wird durch die Tatsache, dass er es für eine falsche Sache brachte, nicht kleiner, er ist also nichtsdestotrotz ein Held.

Auch die Art wie der Tod auftaucht unterscheidet sich von der westlichen Art des Geschichtenerzählens ganz grundlegend: Egal wie sympatisch eine Figur ist, sie ist vor dem Tod nie sicher. Erstaunen machte sich breit als die allererste Folge von Star Blazers (Battleship Yamato), einem der ersten Animes das seinen Weg in den Westen fand, gezeigt wurde: Zwei der Helden fanden einen unerwarteten, ungerechten und ganz und gar überflüssigen Tod. Selbstverständlich sorgt diese Tatsache dafür dass Animes jederzeit spannend sind und ihr Ende weitgehend offen bleibt. Star Blazer wurde im übrigens in der Folge politisch korrekt zusammengeschnitten was allerdings verheerende Folgen auf die Serie hatte: Neben den Todesfällen landete auch die Geschichte und jeglicher Zusammenhang im Papierkorb.

Der Grund für diesen völlig anderen Umgang mit dem Tod liegt zutiefst im Denken verankert. Der Westen, mit seinem christlichen Gedankengut, geht von einem moralischen Universum aus, in dem das Gute belohnt, das Böse bestraft und grundsätzlich Gerechtigkeit herrscht. Japan hat dagegen seine Wurzeln im Shintoismus, der von einer amoralischen (aber nicht imoralischen) Welt ausgeht. Moral, die von den meisten Religionen als universell betrachtet wird, ist im Shintoismus ein rein gesellschaftlicher Wert. Das Leben nach dem Tode ist im Shintoismus für alle, ob gut oder böse, eine recht unerfreuliche und endgültige Angelegenheit. Dies macht auch klar warum der Shintoismus eine sehr diesseitsbetonte Religion ist: im Jenseits ist für niemanden etwas zu erwarten.

Weiter ist Vergänglichkeit in der japanischen Tradition eine Voraussetzung für echte Schönheit, der Tod verleiht dem Leben erst seinen Sinn. Ein typisches Symbol dafür ist die Kirschblüte, die Schönheit und Tod (sie fällt ab und stirbt damit) in sich vereint. Wenn also eine Person in den Kampf zieht und dabei gerade die Zeit der Kirschblüte ist, ist dies ein klares Symbol dass die betreffende Personen diesen Kampf nicht überleben wird, vorher aber bestimmt noch Heldentaten vollbringen wird.

Shonen und Shojo Animes

Shonen heisst übersetzt Junge, Shojo Mädchen. Während sich westliche Comics von Anfang an mehrheitlich an ein gemischtes Publikum richteten existierte bei Animes vor den achziger Jahren eine strikte Trennung: Animes für Junge waren stark handlungsorientierte Geschichte mit männlichen Helden während Mädchen mit Geschichten versorgt wurden in denen es um Beziehungen, Freundschaft oder Liebe ging in denen ansonsten aber nicht viel passierte.

Ranma 1/2

Ranma 1/2

Offenbar war dies aber beiden Geschlechtern zu langweilig und so begannen sich die beiden Stile immer stärker zu beeinflussen. Eines der ersten Animes dass sowohl bei Jungen als auch Mädchen sehr erfolgreich war, ist Ranma 1/2, dass im Kern von der Beziehung zwischen Akane und Ranma (Shojoteil) handelt, in fast jeder Folge aber auch einen Kampf in immer neuen Varianten bietet (Shonenteil). Dabei hat der Einfluss der Shojoanimes ein deutliches Übergewicht, so kommt heute auch kein Shonenanime mehr ohne die grossen, gefühlvollen Augen mehr aus, diese waren aber einmal eine Exklusivität der Shojotitel. Wenn man das Characterdesign einiger aktueller Shonenserien betrachtet (z.B. Gallforce The Revolution) wähnt man sich in einem Shojotitel vor 10 Jahren.

Weiter sind heute die Mehrzahl der Helden in Animes Heldinnen, ein Trend der nach den Animes übrigens auch die Videospielwelt erfasst. Selbst bei uns hat Tomb Raider bewiesen dass Frauen in Heldenrollen sehr erfolgreich sein können. Die Männer kommen dagegen weit weniger gut weg: Der männliche Animeheld von heute ist ein schüchterner, passiver und meist etwas tollpatschiger Typ der eher zufällig in die Geschichte hereinstolpert und ohne seine Begleiterinnen die erste Folge nicht überleben würde (dies wird auch durch die Tatsache verdeutlicht dass der Held meist einen halben Kopf kleiner als seine Begleiterinnen ist). Es kommt kaum ein Zweifel darüber auf dass die Welt der Animes heute in fester Frauenhand ist, eine Tatsache die anbetracht der gesellschaftlichen Realitäten in Japan durchaus erstaunlich ist (auch wenn man sich in Japan hüten muss, vom äusseren Schein auf die innere Wirklichkeit zu schliessen).

Shonenanimes sind im übrigen weiter unterteilt: Shonen (Knabe), Seinen (junge Männer) und Seijin (Männer). Im Westen wird dabei nur der Begriff Shonen bebraucht, dieser bezeichnet hier und inzwischen auch in Japan generell alle Animes in denen ein gewisses Mass an Action vorkommt ansonsten aber eine Klientel beiderlei Geschlechts anzieht. Auch bei Shojomanges existiert eine Unterart: Bishonen (schöner Knabe). Bishonen Mangas handeln von den Beziehungen zwischen homosexuellen Männern und richten sich ausschliesslich an hetreosexuelle Frauen und Mädchen und nicht - wie man vielleicht vermuten könnte - an schwule Männer.

Stellenwert

In der westlichen Gesellschaft gelten Comics und Cartoons allgemein als reine Kinderangelegenheit, ein Vorurteil das auch die europäische Undergroundszene erst nach und nach ausräumt, in Japan hingegen werden besonders Mangas von allen Altersklassen gelesen. Aber natürlich sind Animes auch in Japan in erster Linie eine Domäne des Kinderprogramms.

Der Hauptunterschied zum Westen liegt im Stellenwert. Während hier Cartoons zwar ebenfalls einen wichtigen Teil des Kinderprogramms bestreiten, werden sie ansonsten kaum wahrgenommen, die grosse Ausnahme bildet eigentlich nur Disney.

Sailor Moon

Sailor Moon

In Japan sind Animes eine Industrie mit Milliardenumsätzen, Animefiguren sind überall zu finden: Auf Telefonkarten, Bentoverpackungen (Essen zum mitnehmen, bei dem die einzelnen Zutaten in eine Schachtel mit kleinen Abteilungen gepackt und mit buntem Papier eingewickelt werden), im Strassenbild und machmal sogar bei politischen Veranstaltungen. Gibt es bei uns zum BigMac Menu einen kleinen Ronald McDonald ist es in Japan vermutlich Sailor Moon (Sailor Moon ist die Helding der gleichnamigen Serie, dem erfolgreichsten Shojoanime in Japan und aufgrund der TV Ausstrahlung auch in den USA und Europa recht bekannt. Allerdings ist Sailormoon eigentlich nur für kleine Mädchen gedacht und entsprechend in der westlichen Animeszene umstritten). In Japan werden jährlich etwa 2 Milliarden Bücher und Zeitschriften gedruckt, Mangas machen somit ein rundes Drittel aller drucktechnischen Erzeugnisse des Landes aus.

Der Merchandising Markt ist sehr gut ausgebaut: Es gibt kaum etwas, was zu einer Serie nicht zu haben wäre. So ist es fast ein ehernes Gesetz, dass jede Serie irgend ein Maskottchen hat (z.B. ein Pinguin in Neon Genesis Evangelion) das in allen Variationen verkauft wird (Plüschtiere, Anhänger, etc.).

Weiter werden grosse Umsätze mit den eigentlichen Videos und Laserdisks gemacht, während westliche Serien im allgemeinen nur übers Fernsehen verbreitet werden. Am klarsten sieht man dies bei den OAV, die nur für den Videomarkt produziert werden, und natürlich den Filmen die in den Kinos regelmässig andere japanische Produktionen an Umsätzen überflügeln. Auch in Japan werden, wie bei uns, die grössten Umsätze im allgemeinen von Hollywood Produktionen erzielt. Der erfolgreichste, vor Titanic in Japan gezeigte Film war aber ein Anime: Mononoke Hime des Altmeister Hayao Miyazaki hat über 150 Millionen Franken eingespielt.

Erwähnt werden muss auch der Markt für Musik-CDs der jeweiligen Serien. Ausgehend von den OP/EDs werden CDs in Hülle und Fülle angeboten. Dies liegt nicht nur daran, dass die Soundtracks sehr beliebt sind sondern auch daran, dass die Schauspieler, die den Akteuren ihre Stimmen liefern und in Japan sehr bekannt und beliebt sind, die Lieder selber singen.