Reisebericht Japan Herbst '99
Vorwort
Eigentlich war für diesen Herbst eine lange Chinareise geplant. Da sich aber die Gelegenheit ergab, mit einem Kollegen aus dem Japanischkurs nach Japan zu reisen, habe ich diese ergriffen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Zu zweit reisen ist einerseits viel interessanter und andererseits kosten die Unterkünfte in den Hotels (immerhin der grösste Brocken der Kosten) deutlich weniger.
Die Reise war wiederum unbegleitet (vom Lonely Planet mal abgesehen) und die Hotels, Flüge und längeren Zugfahrten allesamt aus der Schweiz vorgebucht. Dies nimmt zwar einen Teil der Flexibilität, vermindert aber den Stress während den Ferien gewaltig, da man immer weiss, wo man schlafen kann...
1. Tag, Ankunft Tokyo (Freitag, 15.10.)
Am Donnerstag morgen stehe ich zeitig auf (vor Ferien kann
ich selten gut schlafen) und beschäftige mich noch ein bisschen
in der Wohnung. Zu tun gibt es eigentlich nichts mehr, da
ich den Koffer bereits am letzten Sonntag gepackt hatte und
eigentlich alles bereit liegt. Bald darauf breche ich Richtung
Plüsch Bar
auf, wo ich noch mit meinem Freund Jose
auf einen Kaffee abgemacht habe. Dies war eigentlich als Sicherheitsmassnahme
gedacht, damit ich auf keinen Fall verschlafen sollte - aber
natürlich bin ich lange vor ihm dort. Bei Morgenkaffee und
-zeitung drückt er mir als Überraschung noch ein Sandwich
in die Finger. Das ist selbstverständlich kein normales Schinkensandwich
sondern quasi die Edelversion davon: Zwischen den beiden Bagettestücken
steckt eine dicke Lage Jamon Iberico
, dem König unter
den Schinken. Diese spanische Spezialität stammt von freilaufenden,
sich u.a. von Eicheln ernährenden, endemischen Patta Negra
Schweinen aus der Gegend nördlich von Sevillia. Der Schinken
wird an1½ Jahre luftgetrocknet und ist wirklich ein kulinarisches
Erlebnis, für ein schnödes Sandwich eigentlich viel zu schade.
Eine nette Geste
denke ich noch, ich würde um dieses
Teil aber noch sehr froh sein.
Danach muss ich noch kurz Schuhe kaufen, da mir aufgefallen
war, dass ich zwar zwei Paar schwarze Jeans eingepackt hatte,
aber überhaupt keine dazu passenden, vorzeigbaren Schuhe mehr
besitze. Zwar sollte man dies eigentlich nie tun, da man nicht
sicher sein kann, ob die Schuhe angenehm zu tragen sind und
neue Schuhe ganz allgemein selten sehr bequem sind. Für grössere
Strecken habe ich aber sowieso meine bewährten Light Hiking
Shoes
eingepackt, die neuen Schuhe sollen also eigentlich
nur am Abend gut aussehen. Als dies erledigt ist, geht es
endgültig Richtung Flughafen, wo ich bereits mit meiner Schwester
und natürlich meinem Reisepartner Markus abgemacht habe.
Beim Abschiedskaffee darf
ich noch einmal die volle
Wucht schweizerischer Gastunfreundschaft erleben, da wir offensichtlich
die Kellnerin im Flughafenrestaurant bei irgend etwas wichtigem
stören. Aber offengestanden geniesse ich dies ein bisschen,
da ich genau weiss, dass ich so etwas die nächsten drei Wochen
bestimmt nicht mehr erleben werde. Danach müssen wir noch
Abschied nehmen und ab geht es durch die Zollkontrolle - die
Ferien haben jetzt irgendwie richtig angefangen.
Der Flug mit einer Swissair MD11 (ja, dem Todesflieger) ist
eine Zumutung. Es soll Landsleute von mir geben, welche aus
Patriotismus und Prinzip immer Swissair fliegen, ich kann
aber beim besten Willen nicht verstehen warum. Auf unseren
Plätzen angekommen, muss ich als erstes feststellen, dass
es weder eine Speise- und Getränkekarte noch einen Entertainment
Guide gibt - bei den Musikprogrammen muss man also raten,
was es da so zu hören gibt. Auch das Motto von Swissair -
The Worlds most refreshing Airline - verstehe ich bald: Die
Temperatur im Flieger ist nur was für Pinguine und ohne Pullover
sollte man sich da besser nicht reintrauen, auch die Schuhe
muss ich bald wieder anziehen, da mir sonst die Zehen abgefroren
wären (ob wohl Rainhold Messmer auch Swissair fliegt?). Aber
was solls, in nur
11½ Stunden ist die Tortur ja zu
Ende...
Der Hammer ist aber eindeutig das Abendessen, glücklicherweise
die einzige richtige Mahlzeit auf dem Flug. Markus hat das
europäische Menu genommen, welches dem Vernehmen nach ja
gut
gewesen sein soll. Ich entscheide mich aber für
das japanische: Gemäss Ankündigung soll es Huhn sein - etwas
was ich weder bestätigen noch dementieren kann, identifizieren
lässt sich das Ding ohne Gaschromatographen nicht. Das einzig
gute am Essen ist der Wein, welcher von einem bekannten französischen
Unternehmen stammt, von dem ich auch öfters eine Flasche kaufe.
Aber kein Problem: Ich kann es getrost stehen lassen und Jose's
Sandwich verzehren, danach gibt es noch ein paar schottische
Shortbreads
, welche mir meine fürsorgliche Schwester
am Flughafen zugesteckt hatte.
Irgendwelche Filme wurden auch noch gezeigt, an den einen kann
ich mich noch nicht einmal mehr erinnern und für den zweiten,
Notting Hill mit Julia Roberts, nicht wirklich erwärmen. Also
versuche ich ohne Erfolg ein bisschen zu schlafen und träume
davon, in einem rotemburo
zu liegen...
Nach einer scheinbaren Ewigkeit (es ist in der Zwischenzeit
Freitag) leitet der Pilot endlich die Landung ein und wir
setzen sicher und pünklich in Tokyo New International
,
gemeinhin als Tokyo - Narita bekannt, auf. Nachdem wir unser
Gepäck, welches zufälligerweise nicht nach Feuerland geschickt
wurde, in Empfang genommen haben, eile ich zur nächstgelegenen
Raucherecke - etwas was in Japan in der Zwischenzeit oft schwer
zu finden ist. Nachdem ich ein paar Zigaretten gequalmt habe
(wovon mir von der ersten wie üblich fast schlecht wird, Rauchen
ist wirklich eine dumme Angewohnheit) und Fahrkarten
für den Shuttlebus gekauft sind, brechen wir nach kurzer Wartezeit
Richtung Tokyo und Keio Plaza Intercontinental Hotel
auf. Narita liegt bei leichtem Verkehr rund eine Fahrstunde
vom Zentrum weg, bis zu unserem Hotel in Shinjuku-West fährt
man noch eine weitere halbe Stunde. Dort angekommen ist schnell
eingecheckt und wir brechen, da wir den Jetlag so schnell
wie möglich loswerden wollen, ohne auszuruhen direkt Richtung
Asakusa auf, dem ersten touristischen Ziel dieser Reise.
Im Bahnhof Shinjuku gibt es erst einmal eine kleine Einführung
in die japanischen Massenverkehrsmittel. Beim ersten Besuch
- ich bin es mir ja in der Zwischenzeit gewohnt und fühle
mich dort schon fast zuhause - ist Shinjuku ein beeindruckendes
Erlebnis. Dies ist der verkehrsreichste Bahnhof der Welt (täglich
steigen dort 2 Millionen Menschen ein, um oder aus) und ist,
wie so oft in Japan, über die Jahre organisch gewachsen und
alles andere als übersichtlich. Da fallen einem als Informatiker
sofort die berühmten Worte des ersten Computeradventures ein:
You're in a maze of twisty little passages, all alike
.
Dies trifft auf Shinjuku auf jeden Fall ein. Doch der Geniestreich
ist eindeutig die Tatsache, dass der ganze Bahnhof aus vielen
verschiedenen Ebenen, welche teilweise nur 1.5 Meter auseinanderliegen,
besteht. Da kann man etwa mittels einer Rolltreppe oder eben
auch zwei anderen auf ein und dieselbe Ebene gelagen - spätestens
da verliert man den Überblick und hat meist kaum eine Ahnung,
wo man überhaupt ist. Zwar gibt es Pläne (sogar viele verschiedene),
diese zeigen einem aber meist nur, dass man am falschen Ort
ist und helfen kaum, den richtigen zu finden. Aber es gibt
einen Trick: Es ist am einfachsten, sich einfach die Läden
und Restaurants zu merken, an denen vorbei oder durch die
hindurch man gehen muss, um von einem Ort zum anderen zu gelangen.
Aber die U-Bahn zu finden ist glücklicherweise einfach, der
Billettautomat schnell erklärt und der richtige Zug bald gefunden.
Als wir am Ziel aus der U-Bahn kommen, hat Regen eingesetzt
und ich kaufe mir mal als erstes einen Schirm - diesen sollte
ich noch am selben Abend wieder verlieren und glücklicherweise
nie mehr benötigen (Schirme sind in Japan aber auch für ein
paar Franken an jeder Ecke zu haben, es ist also kein Verlust).
Wärend Markus den Tempel betrachtet und ein paar erste Fotos
schiesst, besorge ich mir ein Orakelzettelchen. Gemäss diesem,
steht einer angenehmen Reise nichts im Weg und es drohen auch
sonst keine Katastrophen. Aber es passt: The black clouds
on the moon were cleared up, it get really bright again.
.
Stimmt: Der Stress im Büro ist erstmals vorbei und ich kann
3 Wochen Ferien geniessen. Ob das mit den versprochenen vielen
Nachfahren, die ich haben soll, allerdings auch stimmt, daran
wage ich ein bisschen zu zweifeln... Aufwärts geht es aber
eindeutig mit Hausbau und Heirat, die im Frühjahr noch
halbes Glück
waren. Dafür stünden die Zeichen jetzt perfekt.
Viel früher als erwartet wird es dunkel: Erst eröffnen wir eine grosse Diskussion, warum dies wohl so sei. Noch Tage später ist dies ein Thema und ich versuche, die Theorie von Markus, dass die geographische Lage damit etwas zu tun habe, mit einer plastischen astronomischen Darstellung (ein Päckchen Zigaretten war die Erde und ein Salzstreuer die Sonne) zu widerlegen. Dabei ist der Grund ein ganz einfacher: Japan kennt keine Sommerzeit!
Bald sind wir mit der U-Bahn wieder im Hotel und wir reservieren in der köstlichen Sushi-Bar des Hotels zwei Plätze. Nachdem wir ein paar erste Postkarten geschrieben und abgegeben haben, geht es schon zum ersten Sushi. Markus kennt bisher nur solche, welche es bei uns zu essen gibt - verglichen mit dem Original (besonders wenn man ein bisschen mehr ausgibt) schlechte Kopien.
Zuerst bestellen wir uns ein Set (die
Japaner verstehen sowohl setto
als auch course
,
damit lassen sich in Sushi- oder Yakitoribars die grössten
Sprachprobleme umschiffen), ich nehme in weiser Voraussicht
erst einmal das kleinere. Dieses ist recht schnell weggeputzt
und schon fangen wir mit dem angenehmsten in Sushibars an:
Da der Sushikoch (von denen es im Keio Plaza einen pro zwei
Gäste gibt!) immer bereit ist, eine neue Bestellung aufzunehmen,
kann man sich kreuz und quer durch die Speisekarte essen und
immer bestellen, was einem gerade so in den Sinn kommt (und
dessen Name man weiss).
Die Speisekarte in Sushibars besteht aus Holztafeln, auf denen die verfügbaren Fische bzw. Meeresfrüchte meist in Hiragana (leider nicht immer) aufgeschrieben sind. Geht etwas aus, wird die Holztafel einfach umgedreht: Was auf der Karte angeschrieben ist, gibt es auch! Da Touristen in Japan zwar selten aber doch dann und wann anzutreffen sind, haben auch viele Sushibars einen in englischer Sprache angeschriebenen Sushi-Guide. Dies ist zwar praktisch, hat aber einen entscheidenden Nachteil: Bei weitem nicht alle verfügbaren Sushis sind verzeichnet, regionale Spezialitäten schon gar nicht! Falls Sie ein Sushi-Fan sind, empfehle ich Ihnen daher, sich vorgängig eine Liste oder ein Büchlein zu organisieren: Gute Buchläden wie Kinokuniya (Tokyo, Osaka) oder Maruzen (Kyoto) haben solche auf Lager.
Aber glücklicherweise weiss ich, worauf ich mich am meisten gefreut habe: Toro. Die fette Bauchpartie ist der beste Teil des Thunfisches und schmeckt vorzüglich, sowohl als Sushi als auch als Sashimi. In der Schweiz ist es leider vollkommen unmöglich, Toro zu essen und daher habe ich was nachzuholen. Weder mich noch Markus (dem der Toro ebenfalls am besten geschmeckt hat) kann der astronomische Preis von mehreren Gängen Toro abschrecken und wir essen, bis wir beide pappsatt sind.
Danach geht es im 47. Stock in die Polestar
Bar des
Hotels. Das Wetter hat in der Zwischenzeit genügend aufgeklärt,
so dass wir das spektakuläre Panorama des nächtlichen Tokyo
voll geniessen können und ich meinen ersten (aber beileibe
nicht letzten) japanischen Whiskey geniessen kann. Nachdem
ich Markus noch schnell ins Zimmer begleitet habe (das lästige
an Hotels ist, dass man immer nur einen Schlüssel pro Zimmer
hat) kehre ich in die Bar zurück und lasse den Abend gemütlich
ausklingen. Jetzt bin ich wirklich in Japan angekommen und
alle Lasten des heimischen Alltags sind vergessen.
2. Tag, Nikko (Samstag, 16.10.)
Etwas vom Schönsten der Tempel sind immer wieder die kunstvollen Schnitzereien, welche besonders bei der Verzierung des Dachs auffallen.
Da wir an diesem Tag erst nach 13:00 in Asakusa sein müssen,
können wir uns mit Aufstehen und Frühstücken genug Zeit lassen.
Wir beschliessen, vor der Fahrt nach Nikko noch kurz beim
Kaiserpalast vorbeizuschauen um diese Touristenattraktion
auch abzuhaken
, allerdings macht sich keiner von uns
die Mühe, kurz nachzuschauen, wie man denn am besten dorthin
fährt. Markus verlässt sich voll auf mich und ich pflege solche
Dinge nach dem Motto immer der Nase nach
anzugehen.
Also fahren wir einfach mal los und ich schätze, dass die
U-Bahnstation otemachi
in der Nähe liegen sollte. Als
wir dort aussteigen, dämmert es mir langsam, dass es keine
gute Idee ist, nur aufgrund einer U-Bahnkarte ein Ziel anzusteuern.
Zwar ist es durchaus in der Nähe
, aber nach 20 Minuten
herumirren müssen wir feststellen, dass dies wohl nichts wird
und die Zeit langsam knapp wird, um in Asakusa den 13:30 Express
nach Nikko zu erwischen.
Also machen wir uns auf den Rückweg
und laufen die Treppe in die Station Otemachi mit dem Spruch
gerade noch rechtzeitig
herunter. Bald müssen wir aber
feststellen, dass die Station sehr weitläufig ist und wir
benötigen weitere 10 Minuten um nur zum richtigen Geleise
zu gelangen. Nach einer halben Ewigkeit kommt endlich die
U-Bahn und wir fahren mit der Tozai bis nihombashi
,
wo wir auf die Asakusa Linie umsteigen sollten. Da die Zeit
knapp wird, schleppt mich Markus zum ersten Schild, auf dem
asakusa
steht. Als wir in der Bahn sitzen, realisiere
ich, dass wir in der Ginza sitzen. Diese fährt wohl ans richtige
Ziel, macht aber einen riesigen Umweg, welcher uns jeder Hoffnung
beraubt, rechtzeitig anzukommen. Statt 4 Stationen wie die
Asakusa, benötigt die Ginza 7 Stationen und entsprechend mehr
Zeit. Um 13:35 sind wir dann in Asakusa und können als erstes
mal die Reservation umbuchen gehen. Das kostet zwar nicht
alle Welt und der nächste Zug fährt bereits 14:00, aber ich
habe damit den ersten Zug meines Lebens selbstverschuldet
verpasst! Das mir das am zweiten Tag passiert und ich es mir
danach fast drei Wochen werde anhören müssen, macht die Sache
auch nicht gerade besser.
Aber das Gute daran ist eindeutig, dass ich so noch Zeit habe,
auf dem Bahnhof gemütlich eins zu rauchen und Speis und Trank
zu organisieren. Bald schon sitzen wir im Zug der Tobu und
lassen die Landschaft an uns vorbeiziehen. Einmal mehr lasse
ich mir von der Zugbegleiterin sowohl auf Japanisch und Englisch
erklären, wann wir genau in shimoimachi
umsteigen müssen.
Dank der besseren Sprachkenntnisse und der Tatsache, dass
Markus ein besseres Gedächtnis als ich hat, geht es sehr gut.
Nichtsdestotrotz verabschiedet sie sich mit einem chotto
matte kudasai
und kommt nach ein paar Minuten mit einem
Zettel zurück, auf dem sie alle Angaben noch einmal in perfektem
Englisch niedergeschrieben hat. Einmal mehr zeigt sich, dass
die Japaner deutlich besser Englisch können als man auf den
ersten Eindruck meinen könnte: Ihre schriftlichen Kenntnisse
sind sehr viel besser als die mündlichen.
In Nikko angekommen hat es leicht zu nieseln angefangen. Da
wir auch keine Ahnung haben, wo unser Hotel, das Nikko
Green Hotel
sein könnte, setzen wir uns ins Taxi und sind
bald da - Nikko ist nicht sonderlich gross. Im Hotel angekommen
fällt mir sofort auf, welchen Kontrast dieses ruhige, kleine
Hotel zum Keio Plaza Intercontinental
in Tokyo darstellt.
Bald sitzen wir in der Lobby und trinken unseren Begrüssungstee:
Dieser ist gesalzen und erinnert eher an eine Gemüsebouillon
- solcher Tee ist z.B. in Kyoto eine bekannte Spezialität,
woher dieser kam konnte ich trotz aller Sprachkenntnisse nicht
wirklich herausfinden.
Im Zimmer selber erwartet uns eine spektakuläre Aussicht auf den Fluss. Auf die berühmte Shinkyo Brücke haben wir einen herrlichen Blick - dumm nur, dass diese zur Zeit wegen Renovationen von einem Baugerüst umgeben ist, welches nicht den kleinsten Blick freigibt. Aber man kann ja nicht immer alles haben und bald schon bin ich Richtung Bad unterwegs: Baden ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen in Japan und in Tokyo gab es keine vernünftige Möglichkeit dazu, entsprechend kann ich es kaum mehr erwarten, endlich wieder im heissen Wasser zu entspannen.
Das o-furo ist nett aber wenig spektakulär, der Hit ist eindeutig das rotemburo. Neben dem angenehmen, mineralhaltigen Wasser, welches sehr entspannend wirkt, glänzt es mit einer hübschen Natursteinumfassung und einem schönen Blick auf die das Hotel auf dieser Seite umgebenden Bäume, welche des Abends (in der Zwischenzeit war es längst dunkle Nacht) sogar dezent ausgeleuchtet werden. Heute bin ich ausnahmsweise früh dran und entsprechend viel Betrieb ist im Bad, wobei auffällt, dass viele junge Leute da sind. Da wir aber das Abendessen für japanische Verhältnisse sehr spät um 20:00 vereinbart haben (etwas was oft gar nicht geht), habe ich mehr Zeit als alle anderen und bald bin ich fast alleine im Bad. Nachdem ich mich genügend entspannt fühle und mir auch die Uhr sagt, dass ich mich langsam aber sicher wieder auf den Rückweg begeben sollte, verlasse ich das Bad.
Aber: Eile mit Weile
ist einer meiner Lieblingssprüche
und für einen gekühlten Tee und eine entspannende Zigarette
ist immer Zeit. Im Entspannungsraum treffe ich noch ein paar
der Nachzügler, mit denen ich schnell ins Gespräch komme.
Die Tatsache, dass sie erstaunlich gutes Englisch sprechen,
klärt sich ebenfalls schnell auf: Die beiden leben in Australien
und sind zu einem Klassentreffen in Nikko.
Danach geht es mit Markus zum Essen, welches in diesem Hotel
nicht auf dem Zimmer sondern im Speisesaal
serviert
wird. Saal ist nicht das richtige Wort: Wie in japanischen
Restaurants üblich gibt es Zimmer der verschiedensten Grössen:
Vom grossen Esssaal, in dem deutlich hörbar das Schultreffen
stattfindet, bis zu den typischen kleinen Tatamizimmern für
vier Leute, können Gruppen jegwelcher Grösse untergebracht
werden. Das Essen selber ist ein Gedicht: Nicht nur, dass
es so schön präsentiert ist, sodass wir beide die Kamera holen
um es abzulichten, es schmeckt selbstverständlich auch genausogut
wie es aussieht.
Als sich unser Essen dem Ende zuneigt und wir gemütlich zum
Saketrinken übergehen - fragen Sie mich nicht, wie oft ich
den Kopf zu den shoji
(Schiebetüren) herausgestreckt
und sumimasen! o-sake o futatsu motte kitte kudasai!
(Entschuldigung! Könnten Sie noch zwei Sake bringen?) gerufen
habe - scheint beim Schultreffen der gemütliche Teil angebrochen
zu sein. Natürlich wird Karaoke gesungen und bald lernen wir,
dass man offensichtlich, je schlechter man singt, dafür um
so lauter singt... Den Abschluss bildet eine mit viel Inbrunst
aber leider ohne jedes Talent vorgetragener Elvistitel, dessen
Sänger es offensichtlich darauf angelegt hat, dass ganz Nikko
ihn hört - ich hoffe nur, man hat es nicht bis nach Memphis
gehört, der King würde sich im Grab herumdrehen.
Aber die Japaner gehen früh zu Bett und so wird es bald wieder ruhig und wir lassen langsam unseren ersten echt japanischen Abend ausklingen. Als wir gehen, sind wir selbstverständlich die letzten - etwas was einem in Japan recht häufig passiert. Ich mache noch eine kleinen Umweg über das Bad und bald danach schlummere ich im Futon beim beruhigenden Rauschen des Baches ein.
3. Tag, Nikko (Samstag, 17.10.)
Das süsse Ausschlafen, welches in internationalen Hotels noch
möglich war, liegt hier in Nikko nicht mehr drin: Man kann
sich überglücklich schätzen, wenn es möglich ist, erst um
9:00 Uhr zu frühstücken, normalerweise ist 8:00 Uhr der letzte
mögliche Termin. Beim Frühstück beschliessen wir, dass wir
uns trennen: Markus war noch nie in Nikko und möchte sich
die Tempel in Ruhe anschauen gehen. Ich dagegen halte mich
an unser Programm
, den Besuch des Festivals der
1000 Krieger
. Da dieses erst um 11:00 beginnt, bleibt
mir noch viel Zeit um ein bisschen im Zimmer rumzuhängen und
das Bad besuchen zu gehen. Als ich schliesslich auschecke,
erwartet mich noch eine nette Überraschung: Der Sake geht
aufs Haus! Ob dies immer so ist, kann ich jedoch nicht herausfinden
(dafür reicht mein Japanisch dann doch wieder nicht), ich
kann also nichts versprechen...
Wie ich beim tosho-gu
, dem Haupttempel von Nikko und
praktischerweise ganz in der Nähe des Hotels, eintreffe, machen
sich die Leute langsam bereit, um sich den Umzug anzusehen.
Da ich keinerlei Lust habe, 3 Stunden lang einen guten Platz
- den es um diese Zeit noch gäbe - zu reservieren, gehe ich
ein bisschen bummeln, mich verpflegen, Souvenirs einkaufen,
Tempel anschauen, etc. - was man als Tourist eben so macht.
Ausserdem mache ich mir keine Gedanken: Da ich grösser als
die meisten Japaner bin, sollte ich auch in den hinteren Rängen
genug zu sehen bekommen.
Überall treffe ich auf Gruppen von Statisten, welche sich in prächtigen Kostümen auf den Umzug vorbereiten und bald suche ich mir ein strategisch günstiges Plätzchen, um mir den Umzug anzusehen. Mein Poker, dass ich über die Japaner hinwegsehen kann, geht allerdings nur teilweise auf: An diesem Tag gibt es erstens sehr viele Touristen, zweitens sind diese allesamt Hünen und drittens scheinen sie sich auch alle um mich herum zu versammeln. Aber als der Umzug endlich losgeht sehe ich noch mehr als genug und ich geniesse dieses farbenprächtige Spektakel, welches die Reise eines Tokugawa Shoguns mit seinem ganzen Gefolge nachstellt.
Als es vorbei ist, knurrt mir schon wieder der Magen und ich beschliesse, das im Lonely Planet empfohlene Restaurant aufzusuchen. Irgendwie ahne ich, dass dies eine reine Touristenfalle sein würde, ich möchte es aber auch mal versucht haben. Vor dem Restaurant wird man dann entsprechend auch schon von Schildern in allen Sprachen (inkl. Deutsch) begrüsst und drinnen sind sie ganz offensichtlich den Umgang mit Touristen gewohnt. Der Besuch hat sich gelohnt, da es ganz lustig ist: An den Wänden stecken Hunderte, wenn nicht Tausende von Visitenkarten aus allen Herren Länder und unzählige Touristen haben ihre Eindrücke in ihren Landessprachen hinterlassen. Es ist auch mal etwas anderes, mit Leuten im Restaurant zu sitzen, deren Sprache man spricht und versteht - so ist ein Gespräch deutlich weniger mühsam als sonst. Falls Sie also in Japan mal wieder Lust haben, sich mit jemandem zu unterhalten, kann ein solches Lokal durchaus empfohlen werden, in diesem Fall muss man wegen dem Essen allerdings nicht unbedingt herkommen.
Da sich das Wetter wieder verschlechtert hat (während des Umzugs
schien die Sonne) spaziere ich in die Nähe des Bahnhofs und
schaue auf die Uhr: Mit Markus habe ich erst in 2½ Stunden
abgemacht. Mir ist das aber durchaus recht und bald habe ich
ein gemütliches Kaffee gefunden, in dem der Chef den Kaffee
höchstpersönlich aufbrüht und der Kuchen hausgemacht ist.
Bei zwei Stück Cheesecake
(also Quarkkuchen), mehreren
Kaffees und rund 200 Seiten meines diesjährigen Reisebuchs
(Stephen King: The Stand
in der neuen, verlängerten
Version) verbringe ich einen gemütlichen Nachmittag.
In Tokyo angelangt bricht Markus Richtung Hotel auf und ich
Richtung Kinokuniya Buchladen. Im Gegensatz zum Frühjahr finde
ich ihn diesmal recht bald und ich kaufe mir zwei kleine,
aber nützliche Helfer: Eine Zusammenfassung der japanischen
Grammatik und einen Kanji Pocket Guide
, welcher die
1000 wichtigsten Kanjis enthält. Gerade um letzteres würde
ich den Rest der Reise oft sehr froh sein.
Zurück im Hotel, zerbrechen wir uns den Kopf, wo wir noch einen
Happen zu essen kriegen (für die Sushibar ist es leider zu
spät). Unsere Wahl fällt auf das italienische Restaurant
Los Spacio
im Hotel, da wir beide ziemlich gespannt
sind, wie gut europäische Küche in Japan schmeckt. Weder am
Essen noch an der Weinkarte gibt es irgendetwas auszusetzen
und obwohl ständig präsente, aufmerksame Kellner in einem
italienischen Lokal nicht sonderlich authentisch sind, geniessen
wir es dennoch. Das beste am Essen ist aber eindeutig der
Kaffee: Einen anständigen Expresso zu kriegen, ist normalerweise
in Japan eher ein schwieriges Unterfangen...
Natürlich gehe ich anschliessend wieder in die Pole Star
Bar
. Bereits beim zweiten Besuch werde ich wiedererkannt
und brauche den Whiskey nicht erst zu bestellen: Eine kurze
Bestätigung genügt und schon steht ein Suntory Hibiki
bereit. An diesem Abend misst der Barkeeper nur noch den ersten
ab, anschliessend schenkt er freihändig
und grosszügig
nach, etwas was ich mir selbstverständlich gerne gefallen
lasse.
4. Tag, Tokyo (Sonntag, 18.10.)
Nachdem wir zusammen ausgiebig im Zimmer gefrühstückt haben, zieht Markus alleine los um sich u.a. dem Meji-Schrein anzusehen. Ich dagegen geniesse noch eine Weile die Tatsache, dass Sonntag ist und ich Ferien habe, indem ich faul im Bett liege und vor mich hin döse. Aber irgendwann überkommt mich dann doch das schlechte Gewissen und ich breche mit meiner Kamera bewaffnet auf.
Aber erst habe ich noch etwas zu erledigen. In einem Anflug von geistiger Umnachtung haben wir unseren morgigen Weiterflug nach Okinawa zu einer Unzeit gebucht: 6:30 Uhr ab Haneda! Leicht besorgt gehe ich zur Reception des Hotels und mache mich sprachlich auf das Schlimmste gefasst. Aber ich habe Glück: Die junge Frau, welche sich meiner annimmt, spricht ganz exzellent Englisch und so können wir uns die rund 40 Minuten, die das telefonische Umbuchen dauert, gut unterhalten. Bei der Gelegenheit bucht sie nicht nur den Flug um, sondern rückbestätigt ebenfalls alle anderen Flüge und ich kann mir für den Rückflug noch die Sitzplätze aussuchen (etwas, was wegen unserer recht frühen Buchung in der Schweiz noch nicht möglich war).
Danach mache ich eine ausgedehnte Fototour durch die Hochhäuser von Shinjuku-West und stelle immer wieder erstaunt fest, welch spektakulären Ansichten diese jeweilen wieder freigeben. Unter anderem sehe ich mir die neue Oper von Tokyo an, welche in einem Mehrzweckkomplex aus Bürohochhaus und Kulturbetrieb besteht. So vergeht ein gemütlicher Nachmittag bei bestem Wetter und leicht schmerzenden Füssen und bald geht es wieder zurück Richtung Hotel.
Wir haben beide keine Lust mehr auf grosse Exkursionen und
machen uns auf den Weg in das nahegelegene NS Gebäude. Nachdem
wir uns die Auslagen der dutzenden von Lokalen angeschaut
haben, entscheiden wir uns für Sushi in just dem Lokal, in
dem ich vor 2½ Jahren
meine erste Mahlzeit auf japanischem Boden - soweit man dies
über ein Lokal im 29. Stock behaupten kann - gegessen habe.
Verändert hat sich in dieser Zeit eigentlich nicht viel, ausser
dass die Verständigung in der Zwischenzeit wesentlich besser
funktioniert. Einmal mehr stopfen wir uns bis zum geht nicht
mehr mit allem, was im Meer vor sich her kreucht und fleucht
voll und vergessen dabei auch die Getränke nicht. Sushi &
Sashimi sind hier zwar nicht so sensationell wie in der Sushi-Bar
des Hotels, dafür aber wesentlich günstiger. Beim Bezahlen
laufen meine Japanischkenntnisse zur Höchstform auf: Nicht
nur, dass ich in einwandfreiem Japanisch (ich wünschte, meine
Lehrerin hätte mich gehört) eine separate Rechnung verlange
(betsu-betsu
), ich kann dem Herrn an der Kasse sogar
genau sagen, wovon ich wieviel gegessen habe.
Danach trennen sich unsere Wege: Markus macht bereits schlapp
und es zieht ihn Richtung Bett. Ich dagegen stürze mich ins
reichlich vorhandene Nachtleben von Shinjuku. Dabei kann ich
nicht nur die aktuellen Modetrends bei Nippons Jugend bewundern
(mein Ding ist es nicht, die abgrundtief hässlichen Plateauschuhe
sind leider immer noch im Trend) und ein paar Spielsalons
aufsuchen, ich sehe mir auch einmal den Rotlichtbezirk von
Shinjuku an. Nicht nur, dass es da für jeden Geschmack
(wirklich für jeden!) etwas gibt, ist es natürlich auch riesengross.
Als ich es wieder verlasse, bin ich ziemlich geschafft: Nebst
der Lauferei wird man, wenn man als Mann alleine unterwegs
ist, ziemlich oft zum Betreten der Etablissments aufgefordert
und die angebotenen Dienstleistungen werden recht anschaulich
angeboten - Sprachschwierigkeiten gibt es hier auf keinen
Fall!
Als ich in der Hotelbar angekommen bin, werde ich bereits wie ein langjähriger Stammgast empfangen. Eigentlich wollte ich nur einen einzigen Whiskey trinken, da sich die Barkeeper aber von der sehr grosszügigen Seite zeigen, werden es dann doch ein paar mehr - wer kann denn schon widerstehen, wenn die Gläser fast aufgefüllt werden? Da am Sonntagabend nicht mehr allzuviel los ist, will das Personal alles von mir wissen und mein Japanisch reicht hier bei weitem nicht mehr aus, aber irgendwie geht es doch. Einer der Barkeeper ist ein Fotoamateur und er zeigt mir die Bilder, welche er vom Hotel aus vom Fuji-san gemacht hat. Leider habe ich den bekanntesten Berg Japans noch nie von Tokyo aus sehen können, jetzt habe ich ihn wenigstens auf Fotos gesehen.
Meiner Schritte schon nicht mehr allzusicher gehe ich endlich zu Bett und falle dort innert Sekunden in einen tiefen Schlaf.
5. Tag, Okinawa (Montag, 19.10.)
Da ich den Flug von 6:30 auf 12:30 umgebucht habe, bleibt uns
viel Zeit um zu frühstücken, zu packen und auszuchecken und
trotzdem ohne Stress rechtzeitig im Flughafen zu sein. Ich
nutze die Zeit noch für einen Abstecher ins Business-Center
des Hotels, wo ich in luftiger Höhe und prächtiger Aussicht
auf die Metropole noch ein bisschen im Internet surfe und
ein paar Mails beantworte. Danach treffe ich mich mit Markus
wieder in der Hotelhalle und bald sind wir im Bus Richtung
Flughafen unterwegs. Wir sind sogar sehr rechtzeitig: Markus
ist ein übervorsichtiger Mensch und so sind wir lockere 1½
Stunden vor Abflug nicht nur in Haneda (was Flügelfeld
bedeutet), wir haben sogar schon eingecheckt. Auch bei der
Gepäckkontrolle gibt es kaum Probleme: Beim Check meines Handgepäcks
fällt den sehr aufmerksamen Sicherheitsleuten sofort mein
Taschenmesser auf. Erst begutachten sie argwöhnisch die Klingenlänge
und fragen sich, ob ich das wohl nur eingepackt hätte um das
Flugzeug zu entführen. Aber ich kann sie beruhigen: Als Helvet
ist es normal, eines der auch in Japan bestens bekannten Schweizer
Armeemessern dabeizuhaben. Damit ist auch diese letzte Hürde
umschifft.
Als endlich Boarding-Time ist, macht sich bei uns langsam aber
sicher der Hunger bemerkbar und wir freuen uns bereits auf
das Essen, welches es an Bord geben wird. Wir kommen aber
beide nicht umhin, beim Einsteigen in die 747-400 der Japan
Airlines festzustellen, dass die Japaner samt und sonders
o-bento
(also Lunchpakete)
dabei haben. Unsere Befürchtungen bewahrheiten sich auch bald:
Auf Inlandflügen gibt es überhaupt nichts zu essen, noch nicht
einmal Sandwiches werden auf dem 2½ Stundenflug angeboten
- da bleibt uns nichts anderes, als ein bisschen den Japanern
beim Essen zuzuschauen.
Bereits wärend des Fluges machen sich die ersten Anzeichen, dass Okinawa eine der grössten US-Militärbasen beheimatet, bemerkbar. Unübersehbar ragen riesige Amerikaner aus den Japanern hervor: Nicht nur, dass Amerikaner grundsätzlich schon gross sind (auch verglichen mit Schweizern), diese sind auch Berufssoldaten und man sieht ihnen deutlich an, dass körperliche Kraft bei diesem Beruf wichtig ist. Okinawa war schon seit dem 2. Weltkrieg strategisch wichtig, in der heutigen Welt, in welcher China sich anschickt, zur Supermacht in Asien zu werden, nimmt die Bedeutung von Okinawa weiter zu. Da Japan selber über keine nennenswerte Armee verfügt, sind die Amerikaner als Schutzmacht für Japan nach wie vor unverzichtbar.
Diese Gedanken sind schnell verflogen, als wir hungrig aber
sonst ok, in Naha, der Hauptstadt Okinawas, aus dem Flughafen
treten und die 30° geniessen. Gemäss unserem Reisebüro könnten
wir den Bus nehmen, da wir aber keine Ahnung haben, wo es
denn genau ist und auch keine Lust haben, auf der Insel rumzuirren
wie einst Robinson und Freitag, nehmen wir das Taxi und auf
geht es Richtung Manza Beach Hotel
.
Okinawa ist zwar sehr gut gelegen, die Insel selber kann aber kaum als Tropenparadies bezeichnet werden. Egal wohin das Auge blickt, sieht man entweder Städte (die hier auch nicht anders als im Rest von Japan aussehen) oder militärische Einrichtungen der US-Armee. Aber das kann uns weitgehend egal sein, da unser Hotel auf einer Landzuge gelegen ist und somit zu 330° von Meer umgeben ist. Man kann sich über solche Ressorts streiten, wir geniessen die herrliche Lage und den eigenen Strand aber sehr und erkunden kurz nach dem sehr netten Einchecken (die junge Dame sprach zwar kein Wort Englisch und auch auf Japanisch war kaum Kommunikation möglich, das kompensierte sie aber mit ihrer fröhlichen und charmanten Art locker) die Umgebung des Hotels. Beim Strandshop kaufe ich mir noch schnell eine Badehose, da ich die logistische Meisterleistung zustande gebracht habe, zwar eine von der Schweiz nach Japan mitzuschleppen, die aber im Koffer, welcher schon nach Ibusuki unterwegs ist, zu vergessen.
Danach essen wir in der sehr schönen Lobby des Hotels eine
keki-setto
und einen Fruchtteller (für welche in Japan
ausnahmslos astronomische Beträge zu berappen sind). Beim
Kaffee beobachten wir eine Schulklasse, die brav in Zweierreihe
ins Hotel läuft und ihre Zimmer bezieht. Erst wundern wir
uns, dass sich japanische Schulen so etwas leisten können
- das Manza Beach
ist nicht gerade umsonst und zu meiner
Schulzeit genügte das Budget für einen Schulausflug gerade
für Massenlager in Zivilschutzanlagen oder ähnlich komfortablen
Unterkünften. Aber das erstaunlichste ist die schiere Anzahl:
Die Reihe hört und hört nicht auf und bis alle an uns vorbeigegangen
sind vergehen - im Ernst - über 15 Minuten! Da das Hotel innen
offen ist und man von der Lobby alle Stockwerke einsehen kann,
können wir auch schön beobachten, wie sich die Schüler langsam
aber sicher, Stockwerk um Stockwerk über das ganze Hotel verteilen.
Vielleicht hatten Sie als Kind auch so ein Murmelspiel, bei
dem man die Kugeln von oben nach unten durchlaufen lassen
konnte: Genau so, nur umgekehrt, sah das ganze aus. Später
sehe ich auf dem Hotelparkplatz die 8 (!) Busse, welche sie
zum Hotel gebracht haben.
Da das Hotel direkt am Meer liegt, gibt es zum Abendessen selbstverständlich wieder Sushi. Einmal mehr ist es absolut köstlich und wir essen einige Dinge, von denen wir zwar nicht genau wissen, was es eigentlich sein soll (eventuell waren es Algen, sicher sind wir allerdings nicht) aber wunderbar schmecken. Danach geniessen wir den herrlich angenehmen Abend an der Poolbar und freuen uns bereits auf den Strand.
6. Tag, Okinawa (Dienstag, 20.10.)
Auch wenn man eine gewisse Verantwortung trägt, scheint mir der Job, den ganzen Tag am Strand zu sitzen, nicht der schlechteste zu sein.
Nach dem Frühstück gehen wir zum hoteleigenen Strand und liegen in die Sonne. Es ist ein wunderbarer Tag: Am Himmel sind nur am Horizont ein paar kleine Wölkchen zu entdecken, selbst die am Himmel vorbeiziehenden AWACS Flugzeuge der US Airforce, welche von Naha aus starten, spenden keinen Schatten. Ich lege immerhin noch soviel sportlichen Ergeiz an den Tag, dass ich ein bisschen im Meer schwimmen gehe, ansonsten liegen wir nur faul am Strand und geniessen das Leben. Ab und wann müssen wir uns gegenseitig ein bisschen motivieren, dass einer aufsteht und zum 200 Meter entfernten Strandshop läuft um Getränke oder Eis zu organisieren. Auch all die Freizeitaktivitäten, welche das Hotel zu eher symbolischen Preisen (ein paar hundert Yen) anbietet (wie etwa Wasserski, Jetski, Segeln etc.) lassen uns völlig kalt.
Die Schulklasse hat es da schon anstrengender: Erst müssen
sie, schön in Reih und Glied am Strand sitzend, über eine
Stunde lang Anweisungen von ihren Lehrern über sich ergehen
lassen, bevor sie mit Schwimmwesten ein Drachenboot Rennen
über rund 100 Meter durchführen - vermutlich waren dies alles
Sicherheitsanweisungen. Denn eines steht fest: Die Japaner
sind Ordnungs- und Sicherheitsfanatiker. Der Strand, welcher
sogar Öffnungzeiten hat (von morgens um 9:00 bis abends um
18:00), wird ständig von zwar gelangweilten aber doch immer
aufmerksamen Lifeguards
überwacht. Im Meer ist der
Schwimmbereich klar abgetrennt und wer sich diesen Abschrankungen
nur nähert wird mit Trillerpfeife und Megaphon eines besseren
belehrt. Was uns eher ein bisschen nervt, ist für Eltern sicher
eine schöne Sache: Man kann die Kinder weitgehend unbeaufsichtig
an den Strand lassen und ist dennoch immer sicher, dass nichts
passiert. Der japanische Ordnungswahn hat aber natürlich auch
seine positiven Seiten: Der Strand ist absolut sauber und
selbst die Aschenbecher werden alle Stunden geleert.
Aus unerfindlichen Gründen habe ich am Morgen vergessen, meine Beine mit Sonnenschutz einzustreichen. Als ich den Irrtum bemerke, ist es schon zu spät: Der wolkenlose Himmel und die im Süden recht starke Sonne haben ihr Werk bereits vollendet und mir schwant Schlimmes. Aber das ist kein Grund Trübsal zu blasen und wir geniessen den herrlichen Tag bis zum letzten Augenblick und kehren am Abend ins Hotel zurück um von unserem Zimmer aus einen imposanten Sonnenuntergang zu geniessen. Um zu verhindern, dass ich wie im Frühjahr am letzten Tag bis morgens um 3:00 Karten schreiben muss, schreibe ich bis zum Abendessen ein rundes Dutzend davon und schon bald sind wir wieder am Sushi essen. Nach ein paar obligaten Drinks gehen wir schlafen und als ich die Decke über meine Füsse ziehe, merke ich, dass mich mein Gefühl am Nachmittag nicht getäuscht hatte: Ein Sonnenbrand, welcher sich gewaschen hat, kündigt sich an.
7. Tag, Fukuoka (Mittwoch, 21.10.)
Weil es so schön war, tun wir an diesem Tag genau das gleiche wie am Vortag: Nämlich gar nichts, ausser auf der faulen Haut zu liegen. Da es noch heisser als am Vortag ist, verziehen wir uns unter die Palmen, welche am oberen Ende des Strandes zu finden sind, bei meinem Sonnenbrand schon das äusserste, was ich meinen Beinen zumuten kann. Obwohl wir dieses Leben, welches aus Dösen und Lesen besteht, noch ewig geniessen könnten, müssen wir uns am Nachmittag wieder auf die Socken machen und bald sitzen wir schon wieder im Taxi, welches uns zurück zum Flughafen von Naha bringt.
Da wir wiederum recht früh dort sind, bleibt uns viel Zeit den sehr schönen, modernen Flughafen genauer zu betrachten. Unter anderem gibt es in der Haupthalle sogar einen (natürlich blitzblanken) Parkettboden! Auch ein paar Souvenirs sind schnell gekauft und selbstverständlich vergessen wir diesmal nicht, uns mit reichlich Fressalien einzudecken, welche wir auf dem kurzen Rückflug von nur 1½ Stunden verputzen. Zwar ist das mitgebrachte Essen nicht warm, besser als das meiste, was Airlines so zu bieten haben, schmeckt es aber allemal.
Es ist bereits Nacht, als wir Fukuoka anfliegen und die beleuchtete Skyline dieser doch immerhin achtgrössten Stadt Japans mit über 1.2 Millionen Einwohnern betrachten können. Fukuoka bzw. Hakata, welche früher zwei verschiedene Städte waren, heute jedoch politisch eine Einheit bilden, ist die Endstation des Sanyo-Shinkansen, welcher von Osaka her den südlichen Teil des Landes abdeckt und liegt bereits auf der südlichen Insel Kyushu, welche wir in den nächsten Tagen bereisen werden.
Bis wir im Hotel eingetroffen sind, dem Hakata Tokyu Hotel
(einen Schuppen, welchen ich ganz und gar nicht empfehlen
kann), ist bereits nach 21:00 Uhr und wir brechen umgehend
Richtung Stadtzentrum auf, da es um diese Zeit unter Umständen
sehr schwierig werden kann, ein Lokal zu finden. Diese Sorge
ist aber ganz und gar unbegründet: Im Gegensatz etwa zu Tokyo
ist in Fukuoka auch nach 22:00 Uhr jede Menge los und die
meisten Lokale haben noch geöffnet. Irgendwie können wir uns
aber für nichts entscheiden und uns fehlt auch der richtige
Hunger, haben wir doch zwei Stunden früher im Flugzeug gegessen.
Wärend Markus zum Hotel zurückgeht, toure ich noch ein bisschen
durch die Spielsalons - wo ich mich unter anderem köstlich
über sturzbetrunkene salary-men
(also Angestellte)
amüsiere, die unbedingt mit mir Dance Dance Revolution
spielen wollen - und esse noch an einem Stand ein paar
tako-yaki
, köstliche Teigkugeln, welche mit Oktopus (tako
eben) gefüllt sind und in runden Formen gebraten (daher das
yaki
) werden.
8. Tag, Ibusuki (Donnerstag, 22.10.)
Wir sind beide nicht sonderlich traurig, das Hotel am nächsten Morgen zu verlassen - einzig die Tatsache, dass wir in Nagasaki ebenfalls ein Hotel der Tokyu-Kette gebucht haben, macht uns ein bisschen Sorgen. Aber noch ist es nicht soweit und wir brechen zum Bahnhof Hakata auf (obwohl die beiden Städte politisch schon länger eine Einheit bilden, wird auf den Unterschied Wert gelegt: Der Flughafen ist in Fukuoka, der Bahnhof eben in Hakata). Zuerst müssen wir unsere vouchers gegen den Kyushu Railpass eintauschen (was keine grosse Sache ist und schnell erledigt ist) und können uns bei dieser Gelegenheit noch gerade die Verbindungen nach Ibusuki heraussuchen lassen.
Eine runde Stunde später (Markus war wie immer übervorsichtig) besteigen wir den Tsubame, den Schnellzug, welcher die westliche Hauptachse rund um Kyushu bedient (im Osten ist es der Sonic und der Kamome schliesslich fährt nach Nagasaki). Der Tsubame sieht von aussen ein bisschen altmodisch aus, dies liegt aber nicht daran, dass er tatsächlich alt wäre sondern daran, dass auch in Japan das Retrodesign recht beliebt ist. Innen ist der Tsubame ein sehr bequemer, moderner Zug, welcher alle Annehmlichkeiten aufzuweisen hat, welche in Japan zum Zugfahren dazugehören. Besonders gefällt mir der Speisewagen, welcher nicht nur sehr schön eingerichtet ist (es ist eine Stehbar), sondern in dem auch das Rauchen erlaubt ist - aus Rücksicht auf Markus sitzen wir in einem Nichtraucherabteil und so bin ich fast permanenter Gast im Speisewagen.
Die Fahrt ist äusserst angenehm und interessant: Wir geniessen es beide, zum Fenster herauszuschauen und die Landschaft an uns vorbeiziehen zu lassen. Die meisten Felder sind bereits abgeerntet und oft sind auch schon die Abfälle, welche beim Reisanbau anfallen, verbrannt oder werden es gerade, davon zeugen die unzähligen Rauchsäulen, welche wir überall ausmachen können. Die Fahrt geht über Tosu (offenbar dem Olten Kyushus) über Kumamoto und Sendai nach Kagoshima. Ab Omuta führt die Bahnstrecke oft direkt am Meer vorbei und bietet uns einen sehr schönen Ausblick.
In Kagoshima angekommen, bleibt uns für das Umsteigen nur sehr
wenig Zeit und schon wenig später stehen wir vor dem richtigen
Zug, welcher uns nach Ibusuki bringen sollte. Nur müssen wir
feststellen, dass dies kein Zug sondern eine Sardinenbüchse
ist: Der Zug ist zum Bersten mit Schülern gefüllt, welche
um diese Zeit, es ist rund 17 Uhr, nach Hause wollen. Da die
Fahrt rund 50 Minuten dauert, verzichten wir dankend auf dieses
Erlebnis
und warten lieber auf den nächsten Zug. Wir
schauen uns noch ein bisschen im Bahnhof um und schon bald
sitzen wir in einem Bummler, der zwar 20 Minuten länger bis
Ibusuki benötigt, dafür aber reichlich Platz bietet. Da es
in der Zwischenzeit Nacht geworden ist, ist die Fahrt im rumpelnden
Vorortszug nicht mehr sonderlich angenehm und wir sind froh,
endlich an unserem Ziel anzukommen. Der Bahnhof von Ibusuki
ist ein typischer, kleiner Provinzbahnhof und so nehmen wir
sofort ein Taxi, welches uns zum Hotel bringt.
Da angekommen, profitiere ich einmal mehr von der Tatsache,
dass unser Reisebüro die Hotelvouchers auf Markus Namen ausgestellt
hat und er der Einfachheit halber eincheckt, ich kann in der
Zwischenzeit gemütlich meinen Tee trinken. Bald schon werden
wir in unser Zimmer verfrachtet und, nachdem wir die Zeiten
für Abendessen und Frühstück vereinbart haben, können wir
uns endlich ein bisschen ausruhen: Wir waren den ganzen Tag
unterwegs und obwohl wir meist nur in Zügen gesessen sind,
sind wir doch ein bisschen geschafft. Vor dem Abendessen verschwinde
ich, wie immer, Richtung o-furo
. Nachdem ich mich gewaschen
habe, versuche ich ins heisse Wasser zu steigen. Dank meinem
Sonnenbrand, welcher doch noch sehr schmerzt, schaffe ich
dies aber nicht. Na bravo!
, denke ich, Jetzt bist
du in einem Badeort mit heissen Thermalquellen und kannst
nicht einmal baden…
. Ich frage mich schon, was ich genau
die nächsten Tage so unternehmen soll…
Nachdem ich im Zimmer zurück bin, geht es nicht lange und uns
wird ein Riesenabendessen aufgetischt. Das Essen ist auch
hier einmal mehr hervorragend und äusserst oppulent. Begleitet
von ein paar Sake bodigen
wir auch dieses und trinken
mit vollen Bäuchen noch etwas Bier, während das Personal abräumt
und die Futons aufbaut. Bald liegen wir in diesen und, nachdem
ich noch ein bisschen gelesen und Musik gehört habe, schlafen
wir beide tief und fest.
9. Tag, Ibusuki (Freitag, 23.10.)
Während Markus frühstücken geht, bleibe ich lieber noch ein
bisschen im Futon liegen und döse noch eine ganze Weile vor
mich her. Danach gehe ich noch rasch ins o-furo
und
wage wieder einen Versuch, ins heisse Wasser zu steigen. Dabei
wird aber klar, dass ich mir die Hauptattraktion von Ibusuki,
die heissen Sandbäder, abschminken kann.
Zusammen brechen wir zu einem - wie sich noch herausstellen sollte - längeren Spaziergang auf. Unser Ziel ist ein Berg, welcher am anderen Ende von Ibusuki steht und wir schätzen, dass wir in rund zwei Stunden oben sein würden. Wir erkunden ein bisschen Ibusuki, in dem es nicht wirklich viel zu sehen gibt, schauen uns einen kleinen Tempel an und laufen dann dem langen Strand entlang. An einigen Stellen dampft der Sandstrand aufgrund seiner Temperatur, an diesen sind auch die Hütten nicht weit, in denen man sich einbuddeln lassen kann und die Hitze geniessen kann. Selbstverständlich soll das auch sehr gesund sein (wie fast alles in Japan), aber auch Markus lässt sich dieses Vergnügen entgehen.
So laufen wir weiter und sehen uns noch das neue Sportzentrum
von Ibusuki an. Dieses ist tatsächlich recht erstaunlich und
extravagant. Die Haupthalle hat die Form eines amerikanischen
Footballs, welcher schräg und zur Hälfte in der Erde eingegraben
ist. Der Gebäudekomplex wäre selbst in Tokyo noch aufgefallen,
hier mitten in der Pampa
überrascht er uns ziemlich.
Wir stellen aber fest, dass wir schon zwei Stunden unterwegs sind und uns dem Berg nur unwesentlich genähert haben. Also lassen wir das Gipfelstürmen sein und laufen wieder zurück Richtung Hotel. Dort wartet, wie sich bald herausstellt, schon das nächste Abenteuer auf uns. Obwohl es im Zimmer keine Möglichkeit gibt, internationale Gespräche zu führen, besteht Markus darauf, nach Hause anzurufen. An der Reception redet er sich in Englisch den Mund fusslig, kommt seinem Ziel aber nicht wirklich näher (und an ihm kann es eigentlich nicht liegen, ist er doch Anglist). Am Rande der Verzweiflung bricht er schliesslich sein bisheriges Motto, nur Englisch zu sprechen und lässt mal einen Versuchsballon auf Japanisch steigen: Sofort ist alles klar und sie versprechen, die Verbindung herzustellen.
Als er rund 20 Minuten später aufs Zimmer zurückkommt, klingelt bereits das Telefon. Als er es abnimmt, ist allerdings nicht die Heimat sondern ein Operator der KDD, einem japanischen Carrier, dran. Beim anschliessenden Gespräch wird schnell klar, dass das Gespräch noch lange nicht steht. Aber irgendwann ist es, inkl. meiner unfreiwilligen Beteiligung, doch geschafft: Die Verbindung steht und Markus kann das mit Abstand teuerste Gespräch unserer Reise führen.
10. Tag, Nagasaki (Samstag, 24.10.)
Nicht allzufrüh stehen wir auf und packen langsam aber sicher ein. Ein anstrengender Tag wird es nicht wirklich, müssen wir doch im Wesentlichen nur ein paar Mal umsteigen und ansonsten zum Fenster hinausschauen. Erst geben wir noch die Koffer nach Unzen auf und, als noch ein bisschen Zeit bleibt, offeriert uns das Hotel noch einen Kaffee. Danach geht es mit dem Taxi zum Bahnhof. Bis Tosu fahren wir den Weg, den wir auf dem Hinweg genommen hatten, zurück. Von Tosu aus gehts dann weiter nach Nagasaki, welches wir auch bald erreichen.
Schon vom Zug aus war uns in der Nähe von Nagasaki eine Fabrik aufgefallen, welche im Stil einer christlichen Kirche gebaut war. Nagasaki war früh schon ein Zentrum des Christentums in Japan und obwohl es sich auch hier nicht durchsetzen konnte und nie einen grossen Marktanteil (wenn man dem so sagen darf) erreicht hat, hat es architektonisch einen grossen Einfluss auf die Gegend von Nagasaki. Auch die Halle unseres Hotels, in der bei unserer Ankunft gerade einmal wieder eine Schulklasse einquartiert wurde, erinnert mit ihren sakralen, bunten Fenstern eher an eine Kirche als an ein Hotel.
Nach dem Zimmerbezug erkundigen wir uns an der Reception, wo
wir noch etwas zu essen finden. Es ist einmal mehr das übliche
Problem in Japan: Es ist schon nach 21:00 Uhr und ein offenes
Lokal zu finden ist schon recht knifflig. Die Angestellten
schicken uns in die Stadt, in der es eine Gegend voller
offener Restaurants
geben soll. Nagasaki ist recht klein
und kann im Prinzip zu Fuss erkundet werden, da wir aber Kohldampf
haben und uns die Zeit davonläuft, nehmen wir die amüsante,
kleine und uralte Strassenbahn von Nagasaki. Diese bringt
uns begleitet von den in Japan üblichen Tonbandansagen (tsugi
wa eki no mae desu
etwa: Nächste Station Bahnhof
)
an unser Ziel. Die Stationen sind recht nahe aufeinander und
die Tonbänder schaffen es kaum, sich zu bedanken dass man
sich für dieses Verkehrsmittel entschieden hat, die nächste
Station anzusagen und Umsteigemöglichkeiten zu erklären, teilweise
laufen die Bänder fast parallel! Das Tram ist aber sehr billig
(¥120) und praktisch, bringt es einen doch ohne grosse Umstände
und schnell an fast jedes Ziel.
Als wir aus dem Tram aussteigen stehen wir vor einem Sushiladen. Da dieser aber nicht sonderlich vertrauenserweckend aussieht und wir doch schon das eine oder andere Mal Sushi gegessen haben, laufen wir weiter und inspizieren die versprochene Riesenauswahl. Und tatsächlich: Die Strassen sind gesäumt von Restaurants, von denen einige sehr vielversprechend aussehen. Nur dummerweise sind sie samt und sonders geschlossen und die einzigen geöffneten sind billige Chinesen. Da ziehen wir ein Sushi dann doch vor und laufen zu unserem Startpunkt zurück. Wie sich bald herausstellt, ist die Entscheidung goldrichtig. Zu vernünftigen Preisen essen wir ein gutes Sushi in angenehmer, herzlicher Atmosphäre. Unser Japanisch erlaubt es uns, mit Gästen und Personal gleichermassen zu plaudern und ich lasse mich vom Koch einmal mehr in die Namen der vielen Meeresprodukte, welche ich verspeise, unterweisen. Vermutlich sollte man dazu nicht Sake um Sake zu sich nehmen, da ich im wesentlichen alles sofort wieder vergesse. Aber eines Tages werde ich es sicherlich noch lernen...
11. Tag, Unzen (Sonntag, 25.10.)
Nach dem Aufstehen stellen wir erfreut fest, dass das Wetter auch heute wieder sehr gut ist und wir beschliessen, auf den Inasa-yama zu gehen. Zuerst nehmen wir wieder das Tram und laufen dann zu Fuss zur Seilbahnstation - das Wetter ist tatsächlich sehr gut und wir kommen dabei schon ein bisschen ins Schwitzen. Die Luftseilbahn bringt uns in kurzer Fahrt zum Gipfel, auf dem ein Gebäude mit Aussichtsplattform, Restaurants und Getränkeautomaten (natürlich) steht. Die Sicht ist spektakulär und wir bedauern, nicht schon am Vorabend gekommen zu sein, wenn die Sicht auf das nächtliche Nagasaki sicher noch aufregender gewesen wäre.
Als wir uns sattgesehen haben, ein paar Fotos geschossen sind
und wir uns langsam Sorgen wegen eines Sonnenstichs machen,
fahren wir wieder runter und lassen uns im Taxi zum Friedenspark
von Nagasaki bringen. Der Park selber ist im Prinzip recht
hübsch, wäre dort nicht das Hauptmonument, welches aussieht,
als ob es aus Ostblock Restbeständen stammen würde. Verwundert
suchen wir auf dem Sockel dieser Monstrosität nach kyrillischen
Buchstaben, mit welchen Der Neue Sowjetmensch
(oder
so) geschrieben steht... Die Statue ist zwar hässlich (man
möge mir verzeihen) aber dafür wenigsten riesengross. Wir
essen noch schnell ein Eis und machen uns dann Richtung Zentrum
auf.
Am Bahnhof angekommen, sehen wir uns nach dem Busbahnhof, der genau vis-a-vis sein sollte, um. Alles suchen hilft nichts und so fragen wir eben den nächstbesten Uniformierten nach dem Weg. Etwas verdutzt schaut er uns an und erklärt uns dann, dass wir direkt davor stehen - das selbe Gebäude, an dem wir sicher schon 10x vorbeigelaufen sind. Mit hochrotem Kopf versuche ich ihm noch schnell zu erklären, dass ich die Zeichen einfach nicht entziffern konnte und wir verschwinden diskret im Gebäude. Busfahren in Japan (von städtischen Bussen mal abgesehen) ist für mich eine Premiere, allerdings: Kennt man einen Busbahnhof, kennt man sie wohl alle. Auch in Japan sehen diese nicht gross anders aus als anderswo und auch hier ist Busfahren nicht gerade die edelste Art, zu reisen.
Als erstes kaufen wir uns die notwendigen Tickets und sehen uns danach noch ein bisschen um. Da wir dank der umsichtigen Zeitplanung von Markus noch über eine Stunde Zeit haben, können wir dies in aller Ruhe erledigen. Wir kaufen im nahegelegenen Family Mart ein paar Snacks wie Sandwiches und Onigiri: als Dreieck geformter Reis mit getrockneten Norialgen umwickelt. In der Mitte schliesslich sind verschiedene Gewürze - es gibt immer mindestens ein halbes Dutzend verschiedene - wie etwa getrockneter Thunfisch etc., da ich aber weder die Namen noch die Schriftzeichen kenne, ist dies immer wieder eine Überraschung. Natürlich dürfen auch Getränke nicht fehlen und irgendwann geht es dann schliesslich los.
Die Busreise im einigermassen bequemen und fast leeren Bus fängt allerdings schon schlecht an: Da offenbar jemand in den falschen Bus gestiegen ist, macht er zuerst einen Riesenumweg durch halb Nagasaki, wo er ihn an einer anderen Station auslädt. Danach geht es in zügiger Fahrt aus Nagasaki heraus, nur um fünf Minuten später im Stau zu stehen. Im Gegensatz zur Pünktlichkeit der Bahnen scheint es damit bei den Bussen nicht gerade weit her zu sein. Irgendwann geht es dann doch weiter und wir können die sehr schöne Landschaft auf dem Weg nach Unzen geniessen. Nach rund einer halben Stunde können wir uns die Landschaft sogar ganz genau anschauen - da die Strasse renoviert wird, geht es einmal mehr im Schritttempo weiter...
Als wir uns Unzen langsam nähern fangen wir an, uns Sorgen
zu machen, wie der Ort wohl so aussehen wird. Der Lonely Planet
meint zu Unzen nur, dass Unfortunately the bubbling and
spurting 'hells' or jigoku are marred by the spaghetti
tangle of pipes taking the hot water to hotels and spas.
Entsprechend tauchen vor unserem geistigen Auge Bilder wie
aus Bladerunner auf. Diese werden jedoch sofort zerstreut
als wir tatsächlich in Unzen ankommen: Der Ort ist hübsch
gelegen und für japanische Verhältnisse ungewöhnlich grün.
Bei der zweiten Station, an der der Bus hält, steigen wir
aus - nicht das wir die geringste Ahnung hätten, wo unser
Hotel liegt, sondern weil es uns im Vergleich zur ersten einigermassen
zentral und belebt vorkommt.
An der Busstation suchen wir ersteinmal und völlig erfolglos
nach einer Karte, auf der unser Hotel eingetragen ist. Danach
wenden wir uns an die Dame an der Busstation und fragen sie,
ob sie uns den Weg ins Miyazaki Ryokan erklären kann. Aber
das ist gar nicht nötig, sie meint nur, dass wir ein bisschen
warten sollen (chotto matte kudasai
) und ruft für uns
dort an. Bald darauf kreuzt ein Mitarbeiter auf, der uns in
einem normalen PKW zum Hotel fährt. Wie wir in die Auffahrt
fahren, staunen wir nicht schlecht, als dort über ein Dutzend
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Hotels auf uns warten,
sich eifrig verbeugen und uns Willkommensgrüsse entgegenschleudern.
Wir sind noch mitten im hilflosen Versuch, uns in alle Richtungen
zu bedanken, als wir bereits Richtung Lobby bugsiert werden
- unser Gepäck wurde uns natürlich längst aus den Händen gerissen.
Für einen Augenblick erheischen wir einen Blick auf das Frontdesk
und schon sitzen wir in der Lobby vor einem heissen Grüntee
und bringen die Formalitäten hinter uns (also eine Anmeldung
auszufüllen und den Hotel Voucher zu organisieren, der natürlich
längst im Gepäck Richtung Zimmer unterwegs ist). Danach kehrt
ein bisschen Ruhe ein und wir können feststellen, dass die
Lobby dank des wirklich wunderhübschen Gartens, den man durch
die breite Fensterfront perfekt geniessen kann, sehr schön
ist.
In Ryokans ist es üblich, eine Person zu haben, welche sich um einem kümmert und für alle Fragen oder Probleme die Ansprechperson ist. Dies gepaart mit der Tatsache, dass sie es fast immer irgendwie schaffen, in solchen Momenten vor Ort zu sein, sorgt dafür, dass der Aufenthalt noch angenehmer als sowieso schon wird. In unserem Fall ist es Frau Nakamura, eine junge, hübsche Person, der ich mich natürlich nur zu gerne anvertraue. Im Zimmer angekommen, macht sie uns einen weiteren Tee. Dies ist in Ryokans üblich, bei Frau Nakamura (die vermutlich als Hobby die Teezeremonie hat) aber ein besonderer Genuss: Zuerst werden wir nocheinmal willkommen geheissen (obwohl uns der Verdacht schon gekommen war, dass wir das seien) und hätte sich Nakamura-san tiefer verbeugen wollen, hätte sie zuerst ein Loch ins Tatami schneiden müssen.
Danach macht sie uns unseren Tee. Etwas was mich in Japan immer
wieder fasziniert hat, ist die Bedeutung, welche auch nebensächlichen
Dingen oder Handlungen zugemessen wird. Schon eine schlichte
Handlung wie ins Zimmer eintreten, welcher bei uns kaum je
Bedeutung zugemessen wird (bin ich der einzige, den es stört
wenn Hotelmitarbeiter beim Roomservice, damit sie alleine
die Türe trotz des Tabletts öffnen können, mit dem Rücken
voran eintreten?), unterliegt in der klassischen japanischen
Kultur Regeln, welche, wenn man es erlebt hat und ein bisschen
darüber nachdenkt, sehr durchdacht sind. Keine Bewegung wird
dem Zufall überlassen und wirkt immer richtig
, scheint
sich ganz natürlich aus der vorhergehenden zu ergeben und
man hat das Gefühl, das es nur so und nicht anders möglich
oder angemessen sei. Ich kann mich an der Anmut und Ästhetik
kaum sattsehen und ich muss zugeben, dass der Tee, der eigentlich
der Mittelpunkt sein sollte, für mich nur noch eine Nebensächlichkeit
ist - natürlich schmeckt er, vorausgesetzt man mag den bitteren
Matcha, vorzüglich.
Danach gibt es noch ein zweite Runde normalen
Tee (also
Sentcha) und sie erklärt uns, was es im Hotel so alles gibt,
macht mit uns die Zeiten für Abend- und Morgenessen aus und
heisst uns ein letztes Mal willkommen. Da die Sonne sich langsam
dem Horizont nähert hetzt Markus mit dem Fotoapparat bewaffnet
los, um sich die Hauptattraktion von Unzen anzusehen. Ich
ziehe mir über die Yukatta noch eine Haori über und laufe
ebenfalls, so schnell es die Sandalen zulassen, los. Beim
Einchecken hatte ich noch zu Markus gesagt, dass wir hier
wohl kaum Touristen antreffen würden. Aber kaum habe ich das
Hotel verlassen, kommt mir schon eine grosse Gruppe Deutscher
entgegen, was einmal mehr das Cliché bestätigt, dass Deutsche
wirklich überall anzutreffen sind (was eine gute Eigenschaft
ist, Amerikaner hingegen verlassen eher selten die ausgetrampelten
Touristenpfade). Staunend betrachten sie mich in meiner echt
japanischen Kleidung und ich staune im Gegenzug über ihre
westliche - bis auf Markus sind sie im wesentlichen die einzigen,
welche sich so anziehen, da es in Ryokans üblich ist, in der
Hotelyukatta auszugehen.
Ich schiesse, solange es das Licht noch zulässt, ein paar Bilder und geniesse ansonsten die schöne Abendstimmung inmitten der überall dampfenden, gurgelnden und spritzenden Quellen. Aber ich habe, wie leider so oft, kaum Zeit und stresse zurück zum Hotel, will ich doch vor dem Abendessen noch ins o-furo. Auch hier zeigt sich wieder, dass das Miyazaki Ryokon ein erstklassiges Haus ist: Das o-furo hat nicht nur die ganze Nacht geöffnet, es bietet auch eine exzellente Infrastruktur. Es gibt Personal, welche einem Waschtücher entgegenstreckt oder ein Bier zapft (dies allerdings nur bis 22:00 Uhr). Das Bad selber ist grosszügig angelegt und bietet neben dem o-furo selber auch eine Sauna und ein sehr schönes rotemburo. In selbigem sitze ich auch schon bald und geniesse den Temperaturunterschied zwischen dem inzwischen einsetztenden leichten Regen und dem 43º warmen Wasser. Von der Tatsache, dass man vom halben Hotel und auch von den gläsernen Aussenliften bestens ins Bad sehen kann, lasse ich mich in Japan schon längst nicht mehr stören und lasse es mir gutgehen. Um ein Haar wäre ich weggedöst und hätte die Zeit vergessen. Die Erwartung des sicherlich guten Essens und das Wissen, dass das Bad auch danach noch geöffnet ist, lässt mich aber dennoch wieder aufstehen und ins Zimmer zurückgehen.
Dort geht es nicht lange und ein erstklassiges Essen wird aufgetischt, über welches sich Markus und ich im Nu hermachen. Einmal mehr zeigt sich, warum das Abendessen oft mehr als 50% des Preises bei einer Übernachtung in einem Ryokan ausmacht: Es ist exquisit, japanische Küche von ihrer besten Seite. Nach dem Essen kann ich Markus noch davon überzeugen, sich das schöne Rotemburo nicht entgehen zu lassen und er begleitet mich ausnahmsweise wieder einmal ins Bad. Im heissen Wasser, welches beim Einfluss in der Tat sehr heiss ist, und unter einer klaren Sternennacht lassen wir den Abend ausklingen und geniessen den Moment.
12. Tag, Yufuin (Montag, 26.10.)
Das Frühstück haben wir am Vorabend für 9:00 Uhr (die spätest mögliche Zeit) vereinbart und gerade als wir uns 9:03 Uhr aufmachen wollen, steht Frau Nakamura im Zimmer und fragt, ob wir das Frühstück vergessen hätten? Unklar darüber, ob wir uns über die Pünktlichkeit der Japaner wundern oder uns für unsere eigene Unpünktlichkeit schämen sollen, folgen wir ihr brav im Gänsemarsch in den Speisesaal. Dort bestellen wir uns ein Continental-Breakfast, welches in der Tat sehr gut ist - selbst der Kaffee ist fast geniessbar!
Später machen wir einen ausgedehnten Spaziergang durch die
Höllen
genannten heissen Quellen. Abgesehen von den
unzähligen Röhren, welche das Wasser in die Hotels bringen,
ist der Park sehr schön und neben vulkanischen Aktivitäten
gibt es auch schöne Bäume, Blumen und Vögel zu bewundern.
Froh sind wir allerdings, dass man es heute mit den Traditionen
nicht mehr allzugenau nimmt: Früher wurden in Unzen nämlich
Christen bei lebendigem Leibe gekocht - wir wurden glücklicherweise
nur noch bekocht (wenn Sie mir den Kalauer durchgehen lassen).
Leider naht die Abreise und wir setzen uns noch kurz für einen Tee in die Lobby und bewundern ein letztes Mal den schönen Garten. Als der Abschied naht, kommt Frau Nakamura um sich zu verabschieden. Erst schiesst sie noch ein letztes Bild von uns beiden und bringt uns anschliessend zum auf uns wartenden Bus. Dieser ist zwar klein, 18 Leute hätten aber ohne Probleme Platz und wir staunen einmal mehr über den Aufwand, der hier betrieben wird: Als ob Bus mit Fahrer nicht genügen würde, kommt noch eine Mitarbeiterin als Begleitung mit und, nachdem wir im Busterminal angekommen sind, trägt sie uns noch unser weniges Gepäck bis ins Gebäude. Als wir in den Bus steigen weiss ich eines schon gewiss: Es würde nicht mein letzter Aufenthalt in Unzen gewesen sein.
Ohne Staus oder sonstige Probleme geht die Fahrt zügig zurück nach Isahaya, von wo aus wir in den Zug nach Tosu umsteigen. In Tosu steigen wir nocheinmal um, diesmal in den Zug, der uns nach Yufuin, einem weiteren Badeort in Kyushu bringen wird. Nach der Fahrt durch die Berge rund um den Mt. Aso, dem grössten Vulkan Japans, treffen wir in Yufuin, einem der drei grössten Badeorte Japans ein. Das Wetter hat sich leider verschlechtert und der dauernde leichte Regen hat sich zwischenzeitlich in einen ergiebigen Dauerregen verwandelt. Entsprechend ist die Stimmung etwas gedrückt, als uns das Taxi im Hotel ablädt. Nach dem Einchecken beschliessen wir, nur noch faul rumzusitzen und auf das Abendessen zu warten - im Dauerregen macht Sightseeing einfach keinen Spass. Ich kann mich wenigstens noch meinem Hobby, dem Baden hingeben und tatsächlich ist das Bad nicht nur schön, sondern auch dank der vielen japanischen Touristen, welche von Bad zu Bad gehen und alle ausprobieren, sehr interessant: Für ständig wechselnde Gesprächspartner ist gesorgt.
Als es Zeit ist, gehen wir mit gemischten Gefühlen zum Speisesaal.
Entgegen unseren Erwartungen wurde das Abendessen in diesem
Ryokan nicht im Zimmer serviert und beim Check-In hatte die
Angestellte leicht nebulös von Bierhalle
und Buffet
erzählt. Als wir dort sind, trifft uns der Schlag! Die Wirklichkeit
übertrifft die Vorahnungen bei weitem. Da sind wir nun, in
einem der ältesten und nobelsten Badeorte Japans und unser
Speisesaal ist ein echt
bayrischer Bierkeller mit allem
was dazugehört: Ummmpfff-Pa-Paaaa, Ummmpfff-Pa-Paaaa Musik
(ab Band, Japaner in Krachledernen haben sie uns zum Glück
erspart), Saalschmuck in Blau-Weiss und, um das ganze noch
abzurunden, Japanerinnen im Dirndl! Leider hat niemand unsere
Gesichter in diesem Moment fotographiert: Das Bild wäre sicher
ein Highlight dieser Seite geworden.
Der Not gehorchend nehmen wir das ganze von der humoristischen Seite und entsprechend stelle ich mir am Buffet (Gott, wie ich die hasse) das wohl seltsamste Abendessen zusammen, das ich je gegegessen habe: Auf dem Teller finden sich letztlich nicht nur Sushi und Pizza sondern auch ein bisschen Pasta, Ragout und ein chinesisches Dim-Sun - letzteres ist an dem Abend noch das einzige, was einigermassen gut ist. Auch das Hausbier, welches sie hier in einer Showbrauerei zusammenbrauen, haut einen nicht gerade aus den Socken und ist bestimmt auch kein Grund, hierherzureisen. Aber Bier ist Bier und an diesem Abend können wir davon reichlich gebrauchen. Beim Rausgehen werde ich noch gefragt, ob es uns gefallen hätte - ich ziehe es vor, überhaupt kein Japanisch mehr zu verstehen. Immer noch leicht verstört hüpfe ich noch einmal kurz ins Bad, wo ich geistig nach Japan zurückkehre und aus Dirndl wieder Kimonos und aus Schweinshaxen wieder Sushi wird...
13. Tag, Miyajima (Dienstag, 27.10.)
Wenig motiviert machen wir uns auf, im Bierkeller Frühstück
essen zu gehen. Da allerdings am Vorabend keiner von uns beiden
allzuviel gegessen hat, bleibt uns kaum eine Alternative.
Die Dirndl haben die Serviererinnen am Morgen nicht angezogen
und auch die grässliche Musik läuft nicht mehr - zum Ausgleich
sitzt hinter dem Flügel ein schmalziger Richard Claidermann
Verschnitt und verhunzt in diversen Potpourries in etwa alles,
was in diesem Jahrhundert an Populärmusik geschrieben worden
ist und sich irgendwie am Klavier wiedergeben lässt - zur
Verteidigung von Japan muss allerdings gesagt sein, dass diese
Unsitte auch in Hotels unserer Breiten verbreitet ist, wenn
auch eher zum Abend- denn zum Morgenessen. Begleitet von Klassikern
wie I did it my way
, Yesterday
oder auch
Heardbreak Hotel
essen wir unmotiviert das durchaus erträgliche
Frühstück und stellen fest, dass sich der Virtuose
hinter dem Klavier auch besseres vorstellen könnte, als hier
für die Gäste zu spielen - vermutlich bleibt ihm aber bei
seinem Talent gar nichts anderes übrig.
Nach dem Frühstück trennen sich unsere Wege: Mich zieht es wieder ins Bad und Markus, Regen hin oder her, will sich noch die Sehenswürdigkeiten Yufuins ansehen gehen, zumindest diejenigen, welche sich in unmittelbarer Hotelnähe befinden. Als wir später im Zug Yufuin verlassen, stellen wir beide fest, dass wir auf diesen Tag ganz gut hätten verzichten können. Aber dazu hat in erster Linie das unglücklich gewählte Hotel und das wirklich schlechte Wetter beigetragen - letzteres bessert sich übrigens merklich und der Regen hat ganz aufgehört. Offenbar war Yufuin unser schlechter Tag und mit dem Verlassen des Ortes lassen wir auch das schlechte Wetter hinter uns. Eines Tages werde ich wohl nach Yufuin zurückkehren, da ich davon ausgehe, dass der Ort an sich ganz interessant wäre. Aber ich werde auf jeden Fall ein anderes Ryokan aufsuchen...
Bald kommen wir in Oita an, von wo wir nur noch ein paar Minuten mit dem Nahverkehrszug von Beppu entfernt sind. In Beppu kann ich Markus noch schnell die wirklich unvergessliche Bahnhofsansage - Beppüüü, Beppüüüühhh - vorführen, welche jeden Reisenden auf dem Gleis begrüsst und rasch ein paar Fressalien kaufen, bevor der Sonic eintrifft. Der Sonic ist ein weiterer sehr spezieller Zug, welcher in Kyushu für Abwechslung beim Reisen sorgt. Modern und knallbunt eingerichtet, sind Mickey Mouse Ohren, welche als Kopfstützen dienen, sein hervorstechendstes Merkmal. Ansonsten basiert der Zug auf dem gleichen Rollmaterial wie der Tsubame und dem Kamome, welcher erst im nächsten Jahr in Betrieb gehen würde. Ich finde dies eine hervorragende Idee, erlaubt sie es doch, verschiedene Züge zu nur unwesentlich höheren Kosten zu betreiben.
In Kokura angekommen schaut Markus mir belustigt zu, wie ich nervöser und nervöser werde: Die erste Shinkansen-Fahrt nach immerhin 13 Tagen in Japan steht bevor. Schon bald steht der K-500, welcher uns nach Hiroshima bringen wird, auf dem Gleis und ich steige mit der Freude eines kleinen Schulbuben ein. Da es Markus erste Fahrt mit dem Shinkansen ist, ist auch er sehr beeindruckt: Die Fahrt ab Kokura (oder auch Hakata) ist eigentlich erheblich spektakulärer als ab Tokyo - wo wohl die meisten zum ersten Mal den Shinkansen besteigen, da an diesem Ende der Sanyo-Strecke nach nur ein paar Minuten die 300 km/h Marke erreicht wird und die Geschwindigkeit sogar an der Druckveränderung, welche sich in den Ohren bemerkbar macht, spürbar wird (im Zug herrscht aufgrund des Bernoullie-Effekts ein Unterdruck).
Schneller als mir lieb ist, treffen wir in Hiroshima ein, wo wir auf den Vorortszug nach Miyajima umsteigen. Nach einer guten halben Stunde steigen wir in Miyajima-guchi aus und durchqueren den Ort, um die Fähre zu besteigen. Dabei kommen uns mit schöner Regelmässigkeit Frauen in prächtigen Kimonos entgegen. Auch als die Fähre eintrifft, laufen Dutzende davon an uns vorbei, bevor wir selber die Fähre besteigen. In der Zwischenzeit ist es Abend geworden und die Sonne nähert sich langsam dem Horizont und taucht die herrliche Szenerie bereits in ein magisches Licht. In Miyajima fallen uns auch wieder die vielen Frauen in Kimonos auf - am Abend lassen wir uns dann im Hotel belehren, dass an diesem Tage eine grosse Teezeremonie im Tempel von Miyajima stattgefunden hat, welche wir leider verpasst haben. Schnell geben wir unser Gepäck dem Fahrer des Iwaso-Ryokans, welcher beim Hafen auf uns wartet, ab und erklären ihm, dass wir in einer guten Stunde zu Fuss ins Hotel kommen würden.
Und es sollte sich lohnen: Als wir beim Itsukushima-jinja Schrein angekommen sind, haben wir noch ein paar Minuten, den Tori zu betrachten, bevor die Sonne spektakulär über dem zweitberühmtesten Wahrzeichen Japans untergeht. Ein Schauspiel, welches wir wohl so schnell nicht wieder vergessen werden und einer der Höhepunkte unserer Reise ist. Danach schlendern wir gemütlich zurück zum Hotel und checken erst einmal ein. Nach dem obligatorischen Willkommenstee und einem kurzen Abstecher ins Bad meinerseits, wird im Zimmer auch schon das Essen aufgefahren. Einmal mehr geben wir uns den Genüssen eines lukullischen Mahles hin. Die Küche enttäuscht einmal mehr nicht und alle Erinnerungen an Bierhallen oder ähnliches sind im Nu getilgt.
Danach steht der nächste Höhepunkt auf dem Programm: In der
Yukata geht es wiederum zum Meer um uns den nächtlichen Itsukushima-jinja
Schrein und den Tori ansehen zu gehen. Alle Gebäude sind dabei
sehr schön beleuchtet und der Kontrast verhilft dem Rot zu
einem ungeahnten Intensität. Da es auf der Insel selber nicht
allzuviele Hotels gibt, erscheinen einem die paar Touristen
schon fast verloren zwischen den Laternen, welche die Uferpromenade
säumen - die Stimmung ist einiges friedlicher als am Tag,
wenn Horden von Touristen die Insel überfallen
und
in einen gewaltigen Rummelplatz verwandeln. Daher ist eine
Übernachtung auf Miyajima sehr zu empfehlen.
Auf dem Heimweg stelle ich einmal mehr den einzigen Nachteil Miyajimas fest: Ein Nachtleben existiert ebensowenig wie eine geöffnete Schenke. Also gehen wir zum Hotel zurück und machen uns daran, den Kühlschrank, in dem einige grosse Biere stehen, zu leeren. Irgendwann gehen diese aus und ich muss mindestens 3 Meter laufen, um Nachschub aus dem Automaten im Gang zu organisieren. So beenden wir bei fröhlichem Umtrunk diesen Abend und schlafen schliesslich innert Sekunden im gemütlichen Futon ein.
14. Tag, Kyoto (Mittwoch, 28.10.)
Als wir uns früh aus den Futons schälen, machen wir uns für
einen langen Tag bereit. Nach dem gemeinsamen Frühstück und
meinem letzten Besuch im Bad, machen wir uns zu ein bisschen
Sightseeing in Miyajima auf und fahren bald mit der Bahn auf
den Berg Misen. Zurück gehts zu Fuss, was eine sehr angenehme,
gut eine Stunde in Anspruch nehmende kleine Wanderung ist.
Zwar müssen wir des öftern kleinere Kletterpartien über Bäume
machen - der Taifun Bart
war nicht lange vor unseren
Ferien über Japan hinweggefegt und die Spuren sind noch längst
nicht alle beseitigt - aber der Weg ist gut ausgebaut und
gegen Mittag sind wir wieder zurück in Miyajima. Wandern gibt
aber Hunger und so essen wir in einer einfachen, kleinen Beiz
zu Mittag.
Danach geht es per Fähre und Zug zurück nach Hiroshima, wo wir uns noch den Friedenspark anschauen gehen. An diesem Tag ist sehr viel los und die Busse, welche Schüler herankarren und anschliessend wieder abholen sind noch zahlreicher als sowieso schon. Da die Busse grösserer Gruppen durchnummeriert sind, kann man abschätzen, wie gross eine Gruppe in Japan tatsächlich sein kann: Der Rekord an diesem Tag war die Nummer 18 auf einem Bus! Die Lehrer, welche diesen Klassenausflug organisieren müssen, verdienen ohne Zweifel meine Bewunderung und mein Mitleid. Bald stellen wir fest, dass die Sache für uns Touristen einen ziemlichen Haken hat: Viele der Schüler haben Kartons dabei, auf denen sie Unterschriften von zufälligen Passanten sammeln. Dummerweise ist die Auswahl nicht gar so zufällig und als Exot ist man ein primäres Ziel... Ich weiss nicht, wie oft ich und Markus an diesem Tag einen kleinen Satz und unsere Namen geschrieben haben, aber manchmal kommen uns ernsthafte Zweifel, ob wir mehr als 5 Meter pro Stunde schaffen. Aber irgendwann schaffen wir es doch, den Park zu durchqueren und alle Sehenswürdigkeiten zumindest kurz zu betrachten - zwar schmerzen die Handgelenke aber wir sind um eine, wohl nur in Japan mögliche Erfahrung reicher.
Danach laufen wir einen Teil der Strecke zum Bahnhof durch
das eindunkelnde Hiroshima und sehen uns noch ein paar Läden
an. Am erstaunlichsten ist wohl der Tokyuu Hands
: Diese
Läden sind eine etwas schwierig zu beschreibende Mischung
aus Baumarkt, Sharper Image und Papeterie. Der Clou ist aber
die erste Etage, in der zu 100% überflüssiger Krimskrams und
Skurrilitäten geführt werden - ein Blick lohnt sich auf jeden
Fall. Bald einmal geht es zurück zum Bahnhof, wo wir einen
weiteren Nozomi besteigen, der uns zu unserem nächsten Ziel
bringt.
In Kyoto angekommen, haben wir nicht mehr wirklich viel Zeit: An diesem Abend haben wir mit einem anderen Kollegen aus dem Japanischkurs, der zur gleichen Zeit mit einer Reisegruppe durch Japan tourt, abgemacht. Also begeben wir uns zum Taxistand und suchen uns ein Taxi aus: Es gibt Einstiegstellen für drei Kategorien von Taxis. Das Angebot reicht von den kleinen für ¥550, über die mittleren für ¥650 bis zu den grossen ab ¥800 - da uns eine elegante Dame im Kimono den Mercedes 500 SL wegschnappt, bescheiden wir uns mit einem mittleren Wagen, welcher uns ins Hotel fährt.
Nach dem kurzen Einchecken und ein paar Minuten Verschnaufpause
gehen wir in die Halle, in der André bereits wartet. Da er
schon ein paar Tage in Kyoto weilt, überlassen wir ihm die
Restaurantwahl und auf dem langen Fussweg in die Stadt (ein
Taxi wollte er nicht, es seien ja nur ein paar Ecken) schwärmt
er von der Foodstrasse
, in der ein tolles Restaurant
nach dem anderen ist. Da es bereits nach 21:00 Uhr ist, schauen
wir ab und zu verstohlen auf die Uhr und fragen uns, ob dort
überhaupt noch irgendetwas offen haben wird.
So irren wir über eine Stunde durch die Stadt, wobei André
mit dem Spruch die Foodstrasse ist um die nächste Ecke
Durchhalteparolen verbreitet. Wir sehen zwar die halbe Stadt
inkl. dem Redlightbezirk (wobei wir lauthals Spekulationen
darüber anstellen, was André, der wenig amüsiert ist, wohl
in den Tagen zuvor genau in Kyoto unternommen hat), viele
Restaurants tauchen dabei aber nicht auf. Schlimmer noch ist,
dass die wenigen an denen wir immer wieder vorbei kommen nach
und nach schliessen. Irgendwann müssen ich und Markus dann
doch ein Machtwort sprechen und gegen 23:00 zerren wir ihn
in die nächstbeste Sushibar - aber die sollte sich noch als
Glücksfall erweisen. Das fängt damit an, dass sie überhaupt
noch geöffnet ist. Drin werden wir nett begrüsst und bestens
betreut. Unser Set ist schnell verschlungen (Wanderungen machen
hungrig) und schon bald sind Markus und ich in unserem Element
und bestellen Runde um Runde - sowohl Sushi als auch Sake.
André ist kein grosser Sushifreund und schaut uns im wesentlichen
fassungslos zu, wie viele Portionen Sushi im Magen eines hungrigen
Mitteleuropäers verschwinden können. Der Sushikoch dagegen
hat seine helle Freude an uns und beim Abschied bemüht sich
sogar der Manager des Restaurants, uns zu verabschieden.
Auf dem Heimweg verabschieden wir uns vor dem Hotel von André und begeben uns satt und zufrieden zurück zu unserer Nobelherberge. Mit einem Abstecher in die Hotelbar (in der Zwischenzeit hatte ich aus Markus schon fast einen Säufer gemacht: Da sieht man einmal wieder, dass es schädlich ist, schlechten Umgang zu pflegen) beschliessen wir diesen ereignisreichen Tag.
15., 16. Tag, Kyoto (Donnerstag, 29.10. - Samstag, 30.10.)
Von diesen zwei Tagen gibt es von mir weitgehend nichts zu berichten. Markus ist jeden Tag fleissig von Kulturgut zu Kulturgut unterwegs (von denen es in Kyoto mehr als genug gibt), während ich mich weitgehend der Erholung verschrieben habe. Ich schlafe jeden Morgen aus und bleibe bis zum frühen Nachmittag im Bett liegen. Ich besuche des öfteren das Internet Café Aspirin, in dem sich bei Mailen und Surfen und einem Getränk problemlos ein paar gemütliche Stunden verbringen lassen. Danach geht es meist noch ein bisschen zum Shopping.
Am Abend treffen wir uns irgendwann wieder im Hotel und gehen zusammen essen. Neben dem unvermeidlichen Sushi gehen wir auch in ein Aalrestaurant. Aal ist eine weitere japanische Spezialität und wird entsprechend an jeder Ecke angeboten. Man kann ihn mit verschiedenen Beilagen wie (natürlich) Reis, aber auch auf einer Suppe essen. Weiter gibt es Aal auch in jedem Sushi Restaurant - wie bei uns, in Japan schmeckt er aber natürlich viel besser.
Aber wie gesagt, von diesen drei Tagen gibt es wirklich nichts zu berichten ausser dass Markus Kyoto ausgezeichnet gefällt und ich mich bestens erhole und erstmals seit Okinawa wieder topfit bin.
17. Tag, Kyoto (Sonntag, 31.10.)
An diesem Morgen bin ich ausnahmsweise derjenige, welcher früh aufsteht und bald schon aus dem Zimmer schleicht: An diesem Sonntag ist das letzte Formel 1 Rennen der Saison und ich bin im Besitz einer Eintrittskarte. Also breche ich zu nachttrunkener Zeit auf und lasse mich im Taxi durchs noch weitgehend verlassene Kyoto zum Bahnhof fahren. Nach einem kurzen Schwätzchen mit dem Fahrer sind wir dort und er lädt mich an dem Shinkansentracks des Bahnhofs aus. Der Bahnhof ist zwar riesig, der Zugang zum Shinkansen ist aber sehr praktisch und nach weniger als einer Minute steht man bereits auf dem richtigen Gleis. Bei mir dauert es ein kleines Bisschen länger, da ich noch in der Bäckerei vorbeischaue und mir Frühstück kaufe.
Dieser Serie 300 Shinkansen, welcher neuerdings auch auf Hikari Kursen eingesetzt wird, wird mich bald nach Nagoya befördern
Auf dem Gleis kann ich noch ein bisschen das morgentliche Treiben beobachten, während über Kyoto die Sonne langsam aber sicher aufgeht. Bald steht mein Zug, ein Hikari Richtung Tokyo da und schon bin ich unterwegs nach Nagoya, der drittgrössten Stadt Japans und meiner ersten Umsteigestation. Bei Kaffee und diversem Gebäck lasse ich die Landschaft an mir vorbeisausen und schon bald muss ich umsteigen. In Nagoya bleibt kaum Zeit um irgendetwas zu betrachten und schon geht es mit der normalen Bahn weiter. Hier merke ich langsam, dass ich im richtigen Zug sitze, da sowohl Formel 1 Fans als auch ganze Gruppen, welche in den Uniformen diverser Sponsoren stecken, zusteigen. Die gemütliche Fahrt, bei der man natürlich mehr sieht als im Shinkansen, bringt mich in knapp zwei Stunden nach Shiroko, wo ich schon ganz gespannt bin, wie es von dort weiter an die Rennstrecke geht.
Zuerst eine Bemerkung für all diejenigen, welche noch nie an einem Formel 1 Rennen waren: In aller Regel ist die Anfahrt eine Katastrophe, liegen Rennstrecken doch fast ausnahmslos in der Pampa und weisen eine dementsprechende Infrastruktur auf. Meist ist für die letzten paar Kilometer mit mehreren Stunden zu rechnen und Verhältnisse wie bei den indischen Eisenbahnen sind durchaus üblich.
Aber auch hier enttäuschen die Japaner nicht: Im Ort selber ist alles perfekt durchorganisiert und man wird von Dutzenden von Polizisten zu den Bussen geschleust. Unterwegs kauft man noch bei einem der unzähligen Ständen, welche die Strasse säumen eine Fahrkarte. Anstehen ist daher komplett überflüssig und schon nach ein paar Minuten sitzt man im Bus und fährt Richtung Rennstrecke, bei der man nur 15 Minuten später bereits eintrifft.
Die Rennstrecke von Suzuka selber ist die bisher zuschauerfreundlichste
die ich kenne: An der eigentlichen Strecke liegt das Suzuka
Circuit Land
. Dieses ist ein recht grosser Vergnügungspark,
in welchem nicht nur das wohl jedem Formel 1 Fan bekannte
Riesenrad steht, sondern auch sonst Dutzende von Attraktionen,
Shops und Restaurants sind. Am Renntag ist selbstverständlich
die Hölle los und alle Sponsoren haben zusätzliche Verkaufsstände
aufgestellt und bieten auf ihren Bühnen Events - ich verstehe
zwar kaum ein Wort, aber da diese ausnahmslos von jungen Damen
in sehr kurzen und noch engeren Kleidchen, eine hübscher als
die andere, moderiert werden, lasse ich sie mir dennoch nicht
entgehen. Nachdem ich mich genügend versichert habe, dass
der Motorrennsport nach wie vor eine Männerbastion ist, gehe
ich noch ein bisschen shoppen.
Der unvergessene Ayrton Senna in einem McLarren-Honda
Hatte ich an anderen Rennstrecken bisher kein Glück, ein Sennamützchen
zu kaufen, ist dies hier kein Problem: Der unvergessene Ayrton
Senna war und ist in Japan sehr beliebt und so gibt es hier
einen ganzen Laden, welcher nur Senna-Devotionalien verkauft.
Bei all den Bildern aus der Karriere meines früheren Idols
werde ich besinnlich und sentimental und denke zurück an die
Zeit, als er auf McLarren-Honda Weltmeister war. Seit sein
Leben am 1. Mai 1994 auf der Rennstrecke von Imola in der
Tamburello geendet hat, war für mich die Formel 1 nie mehr
dasselbe. Aber spätestens beim Klingeln der Kasse, als ich
meine Nacional
Mütze (einer seiner Sponsoren) bezahle,
werde ich wieder zurück in die Gegenwart gerissen und ich
stürze mich wieder ins Getümmel.
Bald gehe ich Richtung Tribüne um mir meinen bezahlten und nummerierten Platz zu erkämpfen: Doch auch dies ist in Japan kein wirkliches Problem, da sich die Leute tatsächlich an die Platznummern halten. Da die Karten offensichtlich in ganzen Paketen ins Ausland verkauft werden, sitzen um mich herum Deutsche und Engländer. Dies ist mir aber durchaus recht, kann ich mich während des Rennens doch mit Gleichgesinnten über das Geschehen unterhalten. Obwohl das Rennen eigentlich eines der spannendsten der Saison ist - noch kann Eddie Irvine die Titelverteidigung durch Mika Häkkinen vereiteln - bin ich froh, wenigstens fachsimpeln zu können: Das eigentliche Rennen ist ein Start-Zielsieg von Mika Häkkinen und vergleichsweise langweilig. Somit bleibt reichlich Zeit, während des Rennens Getränke und sehr gute Yakisoba zu organisieren. Wenigstens sitze ich nur rund 20 Meter von der Ziellinie und gehöre damit zu den ersten, welche dem Finnen zu seinem zweiten Titel applaudieren können.
Als die Siegerehrung, welche fast genau gegenüber meines Platzes
stattfindet, vorbei ist, mache ich micht gemütlich auf den
Heimweg - zusammen mit rund 150 000 anderen. Aber ich verlasse
mich auf das Organisationstalent der Japaner und - sollte
dies versagen - kann ich auch ohne Probleme in die Stadt zurücklaufen,
was eine gute Stunde in Anspruch nehmen würde. Aber der Bus
ist gemütlicher und als ich zum basu-noriba
komme,
gibt es dort zwei Schlangen: Eine vor einem Fahrkartenschalter,
über dem auf einem riesigen Schild Nagoya
steht - dort
will ich zwar letzlich hin aber nicht direkt mit dem Bus -
und eine vor den Bussen nach Shiroko. Also reihe ich mich
in die zweite ein und stosse Meter um Meter Richtung Bus vor.
Als ich fast dort angekommen bin, merke ich - zusammen mit
ein paar Japanern - dass man doch vorgängig eine Fahrkarte
kaufen sollte und so muss ich wohl oder übel zurück und nach
dem Schalter suchen. Da es der einzige ist, stelle ich mich
beim Schalter Nagoya
an - in der Zwischenzeit ist die
Schlage natürlich locker 4x länger als vorher. Nach einer
Ewigkeit bin ich dran und tatsächlich, auf einem Schildchen
in der Grösse eines Bierdeckels steht auch Shiroko - danke!
Ausnahmsweise wäre ich ohne Japanischkenntnisse besser dran
gewesen...
Wie man für den Bus ansteht weiss ich ja und noch reicht die Zeit: Mein Zug fährt erst in 1½ Stunden. Aber ich stelle fest, dass die Schlange immer zäher voran geht und langsam werde ich doch ein bisschen nervös. Noch wäre Zeit, zu Fuss loszulaufen - aber es würde mich doch zu sehr ärgern, eine gute Stunde für nichts und wieder nichts anzustehen. Also verlasse ich mich auf mein Glück - und dieses verlässt mich wiederum prompt. Zwar geht es nicht mehr allzulange und ich stehe im Bus, aber nach 200m steht dieser, und steht, und steht... An der ersten Kreuzung Richtung Shiroko ist der Verkehr komplett zum Erliegen gekommen und für die ersten 500 Meter unserer Fahrt benötigen wir rund eine Stunde - beeindruckend!
Am Bahnhof angekommen bin ich natürlich 10 Minuten zu spät
und mein Zug - wie immer pünktlich - ist längst abgefahren.
Dies bestätigt mir auch einer der JR Beamten und er meint
nur, ich solle einfach tsugi no densha
(den nächsten
Zug) nehmen - wenigstens muss ich mein Ticket nicht umtauschen.
Stehend geht es bald Richtung Nagoya los und dort (mein
Hikari, für welchen ich eine Reservation habe, ist natürlich
auch weg) gehe ich erst mal Richtung Stadt um etwas zu essen
- jetzt habe ich ja alle Zeit dieser Welt. Ich schau mir noch
kurz das beeindruckende Bahnhofsgebäude (das höchste Japans)
an und entscheide mich für ein italienisches Restaurant (welches
natürlich durch und durch japanisch ist) und eine Portion
Ikura-Spaghetti.
Danach gehts zurück nach Kyoto. Erst löse ich eine neue Reservation (etwas was nur Augenblicke in Anspruch nimmt) und dank des dichten Fahrplans sitze ich nur Minuten später im Shinkansen nach Kyoto. Dort angekommen, hat Markus soeben sein japanisches Abendessen, welches er sich als Roomservice hat kommen lassen, abgeschlossen (welches er nur empfehlen kann) und wir haben beide nicht mehr wirklich Lust gross was zu unternehmen. So gehen wir noch auf einen Gute-Nacht Trunk in die Hotelbar, wo ich ihm meine Abenteuer in Suzuka erzählen kann.
18. Tag, Kyoto (Montag, 1.11.)
Auch an diesem Tag unternehme ich so gut wie nichts (und setze
mich damit der Gefahr aus, als Kulturbanause zu gelten) während
Markus von Tempel zu Tempel, von denen es in Kyoto wahrhaftig
genug gibt, pilgert. Zuerst suche ich erneut das Internet
Café Aspirin
auf. Dort erwartet mich eine erfreuliche
Überraschung: Vor der Abreise hatte ich einer
japanischen Bekannten,
welche ich im Frühjahr bereits kennengelernt hatte, geschrieben,
ob wir uns nicht zu einem Abendessen treffen möchten. Da bisher
aber keine Antwort eingetrudelt war, hatte ich dies schon
längst abgeschrieben. Um so mehr freut es mich, als ich in
meiner Mailbox nicht nur eine Antwort, sogar eine Zusage habe.
Also schreibe ich zurück und - so schwer es mir auch fällt,
alles andere wäre aber sehr unhöflich gewesen - teile ich
ihr auch mit, dass ich noch einen Kollegen dabei habe und
mache für den nächsten Abend ab.
Nach ein bisschen läddele
(wie wir Schweizer dem Shopping
zu sagen pflegen) kehre ich ins Hotel zurück und suche den
Badeklub auf. Dieser ist zwar sehr teuer und bei weitem nicht
so schön, wie ein rotemburo in einem richtigen Badeort, er
hat aber zwei grosse Vorteile: Zum einen gibt es ein Schwimmbecken,
in dem man ein paar Runden drehen kann (und da es ein kurzes
Becken ist, werden es tatsächlich recht viele). Weiter ist
das Publikum recht interessant: Da sich nur reiche Geschäftsleute
(und Informatiker auf Urlaub) solche Klubs leisten können,
ist die Dichte von gut Englisch sprechenden hier besonders
gross. Das funktioniert auch heute wieder und in der Entspann-Lounge
setzen ich und ein Geschäftsherr unsere im Bad begonnene Unterhaltung
lange fort. Irgendwann kommen wir auf das Thema Sushi zu sprechen
und er bestätigt mir nicht nur, dass das
Sushi in Keio-Plaza eines der besten
Japans ist, er gibt mir auch Tipps, wo in Kyoto ich hingehen
soll. Zuerst empfiehlt er eine Bar, in der der Toro nicht
nur unschlagbar günstig sondern auch gut sei. Leider ist diese
am anderen Ende der Stadt und ich will weder mir noch Markus
diese Weltreise antun. Aber das ist auch nicht nötig: Er empfielt
uns, in eine kleine Sushibar um die Ecke zu gehen (vielleicht
20 Meter vom Hotel). Nach dem Bad schaue ich dort noch rasch
vorbei und erkundige mich über die Öffnungszeiten, welche
glücklicherweise vergleichsweise lang sind.
Als ich wenig später Markus, der soeben von einem weiteren Kulturtripp zurückkommt, in der Lobby treffe, ist er von diesem Vorschlag auch sehr angetan und so gehen wir in diese Bar. Da wir unjapanisch spät dran sind, sind neben dem Personal nur noch zwei weitere Gäste anwesend. Zwar hat die Bar aussen ein kleines Schild in Englisch, Ausländer scheinen aber dennoch nicht ein- und auszugehen und der Chef ist zwar sehr freundlich aber dennoch, wie so oft, etwas reserviert. Wir haben ihn aber schnell davon überzeugt, dass wir nicht unser erstes Sushi essen und er keine Perlen vor die Säue wirft. Das wir - Wunder über Wunder - sogar Japanisch sprechen trägt ebenfalls sehr zur schnell lockerer werdenden Atmosphäre bei - es ist nicht unüblich, dass das Auftauchen von Ausländern erst für einen milden Schock sorgt, dieser lässt aber in aller Regel in wenigen Minuten nach, insbesondere wenn es den Fremden schmeckt.
Als wir unseren stärksten Hunger gestillt haben und der Chef ein bisschen entspannen kann, fängt er mit den beiden Gästen, offensichtlich Stammkunden, japanische Lieder zu singen an. Als er merkt, dass uns das durchaus gefällt, bietet er uns einen Sake an. Damit ist das Eis gebrochen und die grosse Fragestunde kann beginnen: Wir sind fortan der Mittelpunkt des Lokals und wir fangen an, uns gegenseitig Runde um Runde Sake zu spendieren. Bald erfahren wir, dass dies ein Familienunternehmen ist, und die Dame, welche sogar Englisch spricht, die Tochter des Chefs ist und zusammen mit ihrem Mann (das bleibt allerdings eine Vermutung, gehört er doch eindeutig zu den scheueren Zeitgenossen) den Laden schmeisst. Einer der Gäste ist ein waschechter Kimonomacher und als der Alkoholpegel schon ziemlich hoch ist, holt er, sehr zum Verdruss der Chefin, auf schon sehr unsicher wirkenden Füssen ein Familienbild der Eigentümer von der Wand: Auf diesem zeigt er uns sie im Kimono, den natürlich er gescheidert hatte. Mit jedem Sake stelle ich fest, dass der Tochter die Sauforgie des Vaters ganz und gar nicht zusagt und ich frage sie immer wieder, ob wir wohl besser gehen sollten. Das verneint sie natürlich heftig und ich vermute, dass es eine ganz und gar dumme Frage ist: Was soll sie einem Gast schon anderes sagen?
Langsam aber sicher machen sich bei den Japanern ernsthaftere
Ausfallerscheinungen bemerkbar und der erste der Gäste verlässt
das Lokal heftig torkelnd und nicht ohne Unterstützung der
einzigen nüchternen Personen im Lokal. Aber wir lassen uns
nicht stören und das Wort kampai
(Prost) fällt noch
oft an diesem Abend. Irgendwann ist es für den Kimonomacher
ebenfalls zuviel und er muss bereits herausgetragen werden.
Wir beschliessen, dass wir wohl schon genug Schaden angerichtet
haben und bezahlen die in der Zwischenzeit astronomische Rechnung
und verabschieden uns überschwenglich. Draussen erwarten wir
eigentlich den Kimonomacher beim Schlafen zu stören, aber
er ist auf wundersame Art verschwunden und die Art und Weise,
wie er nach Hause gekommen ist, wird wohl immer ein Rätsel
bleiben - ein paar Minuten früher war er auf jeden Fall kaum
mehr ansprechbar. Auf dem Rückweg zum Hotel besprechen wir
noch, welch grausiges Schicksal den Chef am nächsten Morgen
erwarten würde - die Körpersprache und der Gesichtsausdruck
seiner Tochter hat auf jeden Fall keinen Zweifel an deren
Missfallen gelassen und lässt wenig Gutes ahnen.
Eines hat der Abend aber deutlich gezeigt: Japaner vertragen Alkohol wirklich sehr schlecht. Während unsere Trinkkameraden an einer mittleren Alkoholvergiftung zu leiden schienen, geht es uns eigentlich noch sehr gut und so finden wir uns schon bald in der Hotelbar wieder, wo wir uns noch den einen oder anderen Drink genehmigen.
19. Tag, Osaka (Dienstag, 2.11.)
An diesem Morgen haben sich die Ohrenschmerzen, welche Markus schon seit einigen Tagen geplagt haben, verschlimmert und er beschliesst, einen Arzt aufzusuchen. Während dieser Zeit übernehme ich das Auschecken und aufgeben der Koffer nach Osaka (eine Kleinigkeit) und den Versand zweier Pakete nach Hause. Dies stellt sich aber schnell als Riesenproblem heraus. Nicht nur haben die beiden jüngeren Angestellten, welche das übernehmen müssen, wenig bis gar keine Erfahrung darin, Pakete in die Schweiz zu senden. Schlimmer noch ist, dass die Verifikation meiner Kreditkarte über eine halbe Stunde dauert. Da ich mir die Ferien nicht vermiesen wollte, frage ich gar nicht erst, wieviel es eigentlich kosten sollte (es blieb mir auch kaum was anderes übrig als die Pakete so oder so aufzugeben, da ich wirklich keine Lust hatte, diese nach Osaka zu schleppen). In der Schweiz musste ich allerdings bald herausfinden, dass das Porto proportional zur Wartezeit war und in meiner persönlichen Portohitparade einsam Platz 1 belegt - dafür wurden die Pakete bereits am übernächsten Tag in der Schweiz abgeliefert...
Danach warte ich bei Kaffee und Kuchen auf Markus, der wenig später mit beruhigendem Bescheid eintrifft. Weniger begeistert war er allerdings vom Arzt: Japan hat ein dem englischen nicht unähnliches, öffentliches Gesundheitssystem und ist vom Luxus schweizerischer Privatarztpraxen meilenweit entfernt. Er macht sich auch grösste Sorgen über die Qualität - eine Sorge die ich mit Hinweisen auf die ausgezeichnete Gesundheitsstatistik Japans - u.a. die höchste Lebenserwartung der Welt - zu zerstreuen suche. Wenig später fahren wir mit dem Taxi zum Bahnhof von Kyoto, einen Weg den ich ja in der Zwischenzeit gut kenne.
Eine der neusten Errungenschaften der JR, der Serie 700 Shinkansen mit seinem typischen Entenschnabel
Wir haben für die 12 Minuten Zugfahrt nach Osaka keine Reservation, nur ein Ticket gelöst (zur Not kann man ja stehen) und gehen aufs Gleis um den erstbesten Hikari nach Osaka zu schnappen. Dort angekommen ertönen gerade die Warnsirenen, dass ein Zug am Abfahren ist. Und da es ein Hikari ist und der sogar in unsere Richtung geht, hüpfen wir auf meinen Vorschlag hin noch rasch rein. Als wir so durch den Zug laufen und die Wagen ohne Reservation suchen, höre ich beiläufig die Stationen, an welchen der Hikari bis zu seinem Ziel Tokyo noch bedient. Irgendwie komme ich nicht umhin festzustellen, dass Osaka dabei wenig Erwähnung findet. Also rufe ich mir eine Eisenbahnkarte von Japan in Erinnerung und lasse sie vor meinem geistigen Auge Revue passieren. Als die Durchsage wiederholt wird, habe ich Gewissheit, dass wir im falschen Zug sind. Nicht nur habe ich dieses Jahr zum ersten Mal in meinem Leben einen Zug verpasst - ich schaffe noch eine weitere Premiere: Ich bin im kreuzfalschen Zug! Es fällt mir nicht leicht, dies Markus einzugestehen und meine gestammelte Feststellung, dass es immer zwei brauche, um in den falschen Zug zu steigen, hilft mir über mein Elend und seinen Spott auch nicht wirklich hinweg.
Wenigstens trifft mich nicht noch der Spott des Schaffners,
der vermutlich von einem Ausländer eh nichts anderes erwartet,
und er erklärt uns des langen und des breiten, dass wir an
der nächsten Station, Nagoya, umsteigen und zurückfahren sollen.
Ich fühle mich behandelt wie ein Kind, bin aber wohl nicht
in der Situation den Beleidigten herauszuhängen und hoffe
nur, dass die ganze peinliche Situation so rasch als möglich
hinter mir ist. Er ist aber sehr freundlich und unser Lapsus
hat noch nicht einmal finanzielle Folgen. In Nagoya angekommen,
kann ich Markus noch rasch das Bahnhofsgebäude zeigen (somit
hatte die Fahrt doch etwa gutes, der Bahnhof ist wirklich
beeindruckend) und wir steigen auf den Vorschlag von Markus
in den bereitstehenden Kodama und warten nicht auf den empfohlenen
Hikari. Da ich noch nie in einem Kodama, dem langsamsten aller
Shinkansens, unterwegs war, lasse ich mich schnell überzeugen.
Der Kodama hält wirklich an jeder Hundsverlochete
(Nagoya-Post,
Nagoya-Industrie, Nagoya-Säge etc.) und bleibt auch immer
mindestens 5 Minuten stehen - das ist wohl nötig, weil er
die Hikaris und Nozomis überholen lassen muss. So wird aus
der Fahrt zurück, welche im Hikari immerhin 50 Minuten in
Anspruch nahm, eine fast 2-stündige Fahrt. Aber irgendwann
kommen wir schliesslich doch noch in Osaka an, wenn auch rund
3 Stunden später als geplant.
Aber das erspart uns wenigsten, uns grosse Gedanken über das
Programm zu machen. Da wir eine Verabredung haben, müssen
wir uns schon fast beeilen. Nach dem Einchecken im Nankai
South Tower Hotel
gehe ich noch in den exzellenten Badeklub
des Hotels um mich frisch zu machen und mich ein bisschen
zu entspannen. Bald darauf bin ich in der Hotelbar, wo wir
abgemacht haben.
Da wir alle pünklich sind, bleibt noch ein bisschen Zeit, uns einen Drink zu genehmigen und die Grenzen der Kommunikation sowohl auf Japanisch als auch auf Englisch auszutesten: Wir ergänzen uns hervorragend, Markus und ich sind beim Japanisch schnell mal am Ende, unseren beiden Begleiterinnen geht es beim Englisch ebenso. Aber bei einem, für Aussenstehende wohl arg skurril wirkenden japanisch-englischem Mischmasch geht es eigentlich ohne grössere Probleme. Bald brechen wir zum Restaurant auf und ich bin schon sehr gespannt, was genau auf dem Programm stehen würde.
Die Spezialität des Restaurants ist Tempura zum Selberbasteln. In der Mitte des Tisches ist ein versenkter Topf mit heissem Öl und auf einer riesigen Platte liegen die Zutaten feinsäuberlich aufgespiesst bereit. Man braucht sie nur noch zu nehmen, in einen grossen Bierkrug mit Teig zu tauchen und ins Öl zu stecken. Eine wirklich gute Idee: Neben der Tatsache, dass es durchaus unterhaltsam ist, hat es noch die Vorteile, dass die Tempura wirklich frisch sind und man die Zutaten (Shrimps, Gemüse und Pilze) im Rohzustand sieht. Dazu noch ein Tipp aus eigener schmerzhafter Erfahrung: Es empfiehlt sich ganz und gar nicht, die Tempura sofort in den Mund zu stecken sondern sie erst eine Weile auf dem bereitliegenden Papier abkühlen zu lassen. Vermutlich ist das jedem vernunftbegabten Menschen klar - mir war das aber einmal mehr nicht so klar...
Als Vorspeise gibt es unter anderem Sashimi und auch nach den
Tempura gibt es noch allerlei zu essen, so etwa chawanmushi
,
einer Eierspeise, welche in einer Tasse (chawan
heisst
Tasse während mushi
Dampf bedeutet und darauf hinweist,
dass das ganze im Dampf gegart wird) serviert wird und zusätzlich
Fisch, Meeresfrüchte und diverse Gemüse enthält oder chazuke
.
Chazuke ist eine für uns wohl eher erstaunliche (Markus und
ich haben erst etwas ungläubig aus der Wäsche geschaut) Mischung
aus Reis und Tee. Über eine Schüssel Reis streut man ein Gewürz
oder eine kleine Einlage (in unserem Fall kleine Kügelchen,
eine Art Suppenbeilage) und giesst grünen Tee darüber, fertig!
Schmeckt ganz ausgezeichnet und ist übrigens eine sehr findige
Art, Reisreste wiederzuverwerten. Zum Schluss gibt es das
japanische Standarddessert: Früchte und Ice-Cream.
Nach diesem sehr guten Abendessen kugeln wir uns wieder zurück
zum Hotel (wie in aller Welt schaffen es die Japaner bloss,
bei der ganzen Esserei schlank zu bleiben?) und machen noch
einen Abstecher in die Skylounge Arc-en-Ciel
im obersten
Stockwerk des Nankai South Towers. Allerdings lohnt es das
Anstehen nicht wirklich: Die Bar ist riesig und wenn man wie
wir ohne Reservation auftaucht und irgendwo in der Mitte einen
Tisch erhält, sieht man von Osaka nicht wirklich viel. Die
Drinks sind zwar mickerig und horrend teuer, sie sind aber
zumindest professionell gemacht und schmecken gut. Aber aus
Rücksicht auf die Brieftasche empfiehlt es sich nicht, einen
allzugrossen Durst an den Tag zu legen. So lassen wir bei
Livemusik und ein paar Drinks den sehr angenehmen Abend ausklingen.
Nachdem wir unsere Begleiterinnen verabschiedet haben und sie
wohlbehalten auf dem Rückweg nach Hause sind, beschliesse
ich, den Abend, der leider schon wieder der zweitletzte ist,
noch ein bisschen in die Länge zu ziehen. Dummerweise erhält
man in Hotels immer nur einen Schlüssel und im Nankai South
Tower ist es noch schlimmer: Ohne Schlüssel lässt sich das
Zimmer überhaupt nicht benutzen, da er in eine spezielle Schale
gelegt werden muss, um Beleuchtung und Fernseher zu aktivieren.
Aber eine Lösung ist schnell gefunden: mein Taschenmesser
(das ich als echter Schweizer natürlich dabei habe) genügt
auch und hat einmal mehr seine Nützlichkeit bewiesen. Damit
ist dieses Problem gelöst und ich kann noch einmal uf d'gass
und mir ein bisschen die aktuellen Spiele in den Spielsalons
anschauen. Wirklich viel neues gibt es hier nicht zu berichten
und so bin ich recht bald wieder zurück im Hotel und leg mich
ebenfalls schlafen.
20. Tag, Osaka (Mittwoch, 3.11.)
Der letzte volle Tag in Japan ist immer der gleiche Stress: Neben den kleinen Geschenken, welche man den Lieben zuhause fast mitbringen muss, gibt es noch das eine oder andere, was man für sich selber gerne kaufen möchte.
So mache ich mich am Morgen schon bald Richtung meiner ersten
Station auf: Umeda. Zuerst werfe ich einen Blick in den Bücherladen
Kinokuniya rein. Da ich aber schon in Kyoto tüchtig eingekauft
hatte, finde ich hier nichts mehr von Interesse und bummle
noch ein bisschen in Umeda rum und schaue in den einen oder
anderen Anime- und Mangaladen rein. Aber auch hier werde ich
nicht fündig und bald bin ich Richtung Den-Den-City
,
dem Einkaufsparadies für alle Arten von Elektronik in Osaka,
unterwegs.
Als ich auf einen Videoladen zulaufe, bleibt mir fast das Herz
stehen: Schon von weitem entdecke ich die lebensgrossen Pappfiguren
der beiden Heldinnen Miyuki und Natsumi aus
You're under Arrest
, meinem
absoluten Lieblingsanime, welche das Erscheinen ihres neuen
und ersten richtigen Films ankündigen. Ich prüfe kurz das
Erscheinungsdatum - der 28. 10. - und begebe mich frohgemut
in den Laden. Leicht nervös suche ich in den Regalen nach
dem richtigen Film, was aufgrund des für mich vollständig
undurchsichtigen Ablagesystems (alphabetisch geht ja schlecht)
eine ganze Weile dauert. Als ich es endlich gefunden habe,
kann ich den Film dennoch nicht finden. Also frage ich nach
und nach einigem Hin- und Her verstehe ich endlich, warum
ich den Film nicht finden kann: Nicht der 28.10. ist der Erscheinungstag,
es ist der 28.11.! Da war wohl der Wunsch der Vater des Gedankens...
Beim Herausgehen überlege ich noch, ob ich einen Versuch starten soll, dem Händler wenigstens eines seiner vielen Plakate abzuschwatzen. Aber aufgrund von zu erwartenden Transport- und Sprachschwierigkeiten lasse ich diesen Gedanken bald wieder fallen - es wäre wohl auch schwierig, so etwas vor dem Erscheinen eines Titels zu kaufen. Leicht frustriert gehe ich ins Hotel zurück, wo ich mich ein bisschen entspanne und dann alleine wieder Richtung Abendessen entschwinde. Mit Markus hatte ich abgemacht, dass ich heute Yakitori essen gehen würde. Da Markus für Innereien ganz und gar nicht zu bewegen ist, haben wir uns entschlossen, getrennte Wege zu gehen.
Bald ist eine Yakitori Bar gefunden und mit ein bisschen Sesselrücken
ist auch ein Platz für mich schnell gefunden. Mit einer Bierbestellung
lenke ich kurzzeitig von der Tatsache ab, dass ich nicht die
geringste Ahnung habe, was ich eigentlich bestellen soll.
Einfach Yakitori kann man in einer solchen Bar natürlich nicht
bestellen, da sie davon mindestens ein gutes Dutzend Variationen
auf Lager haben. Also sitze ich ein bisschen ratlos rum und
versuche dann dem Koch mitzuteilen, dass er mir einfach
irgendwelche
Yakitori bringen soll. Nach einigem zähem
Japanisch-Englischem Hin- und Her, welches wohl eher die übrigen
Gäste belustigt als mich meinem Ziel schnell näher bringt,
klappts dann doch irgendwie, dass er mir eine kleine Auswahl
von Spiesschen serviert.
Aber zum Glück gehts nicht lang, bevor ich mit zwei meiner Nachbaren, japanischen Geschäftsleuten auf dem Feierabendumtrunk, ins Gespräch komme. Nicht nur helfen sie mir, verschiedenste Sachen auszuprobieren, bald muss ich über alles Mögliche und Unmögliche Red und Antwort stehen. Die Gesprächsführung ist dabei sehr interessant: Der eine scheint zwar sehr gut Englisch zu sprechen, will es aber offensichtlich nicht, während der andere kein einziges Wort in irgendeiner Sprache ausser Japanisch spricht, aber das Gespräch führt. Nur wenn wir wirklich nicht mehr weiterkommen, wirft sein wortkarger Kollege in akzentfreiem Englisch (!) das entscheidende Wort in die Runde und schon kann das Gespräch weitergehen. Unter anderem kriege ich die vollständige Speisekarte erklärt - nur zu dumm, kommt mir erst später in den Sinn, mir die Worte aufzuschreiben. Zu ärgerlich: Hätte ich mir nur 20% merken können, könnte ich bereits als absoluter Yakitorispezialist gelten!
Der Besuch in einem Yakitori-ya ist zwar nicht die einfachste Art und Weise zu einem Abendessen zu kommen und mag nicht jedermanns Sache sein (wobei normale Yakitori oder Tsukune genannte Fleischkügelchen zwar fast jedem schmecken aber auf die Dauer doch etwas langweilig sind), aber es macht einen Riesenspass. Die Stimmung ist nach Feierabend sehr gut, da alle ausgelassen einen trinken und dazu ein paar Snacks verputzen (die meisten werden wohl anschliessend zuhause noch ein Abendessen kriegen). Aufgrund der fehlenden Auslagen scheinen sich weniger Touristen in solche Läden zu wagen: Sushibars haben fast ausnahmslos kleine englische Karten, Yakitoriläden scheinen da deutlich weniger gut für Ausländer eingerichtet zu sein. Entsprechend ist man, mehr als sowieso schon, ein ziemlicher Exot.
21. Tag, Abflug Osaka (Donnerstag, 4.11.)
Da wir bereits um 9:55 im Flughafen sein müssen, gibt es an diesem Tag nichts mehr zu tun als aufzustehen, zu packen und auszuchecken. Wenigstens bleibt es mir erspart, mit unserer nationalen Fluglinie zurückzukehren und wir fliegen stattdessen mit einer Boeing 747-400 der Japan Airlines (Flugnummer JL425) über Paris nach Hause. Der Flug bis Paris ist völlig ereignislos und selbst das Essen ist meiner Meinung nach nicht allzuschlecht.
Nach über 12 Stunden landen wir in der Nähe des Flughafens Paris Charles-de-Gaulle. Ich schätze mal, dass wir irgendwo in Belgien gelandet sind: Anders lässt es sich nicht erklären, dass wir noch rund 15 Minuten über irgendwelche Rollbahnen fahren mussten bis wir endlich den Flughafen sehen. Vermutlich sollte damit mal die Grösse Frankreichs in Architekur ausgedrückt werden, herausgekommen ist allerdings nur ein fürchterlich ineffizienter Flughafen. Vor unserem Abflug in der Schweiz hatte uns unser Reiseveranstalter eingeprägt, dass wir unbedingt den Weiterflug nach Zürich in Paris rückbestätigen sollten. Da wir nichts besseres zu tun haben, treten wir eine kleine Odyssee an, bei der wir ohne erkennbaren Grund von Schalter zu Schalter weiterverwiesen werden. Am letzten mustert die Angestellte unsere bereits in Osaka-Kansai ausgestellte Bordkarte und meint, dass alles ok sei. Als Markus nachfragt, ob wir dafür all diese Umstände auf uns genommen hätten, stellt sie uns halt neue Bordkarten aus - für die gleichen Sitze die wir ja sowieso schon hatten. Vermutlich ist das ganze Teil eines staatlichen Arbeitsbeschaffungsprogramms.
Ich habe aber noch ein ganz anderes Programm: Seit wir gelandet
sind suche ich nach einer Raucherecke - leider völlig ohne
Erfolg. Bald muss ich feststellen, dass Rauchen nur in den
beiden Restaurants erlaubt ist (wie geschäftstüchtig!), die
aber weder einen guten Eindruck hinterlassen noch Plätze bieten.
Also begebe ich mich zu einem der zahlreichen Aschenbecher,
die gross mit Rauchen verboten!
angeschrieben sind
und zünde mir einen Glimmstengel an. Es geht nicht lange und
zu meinem grossen Schreck kommen zwei Polizisten auf mich
zu. Die Sorge ist aber völlig unbegründet: Ich bin nicht mehr
in Japan sondern in Frankreich: Die beiden zünden sich ebenfalls
eine Zigarette an und rauchen diese genüsslich. Auch als ich
einfach mein Gepäck liegen lasse und mich ein bisschen im
Kiosk umsehen will, muss ich mich von Markus darauf aufmerksam
machen lassen, dass wir nicht mehr in Japan sind und ich wohl
besser mein Gepäck im Auge behalten soll...
Irgendwann geht es dann endlich weiter und wir verbringen einen eher ungemütlichen Weiterflug nach Zürich: Kurz nach unserer Landung in Paris hatte sich ein ziemlich übles Gewitter gebildet und entsprechend schüttet es beim Start aus allen Kübeln und an Bord der Boeing der Air France werden wir ständig durchgeschüttelt. Aber wir überstehen auch noch dieses letzte Stück Reise und landen rund eine Stunde später endlich in Zürich, wo wir bereits in Empfang genommen werden. Nach einem kurzen Abschied bin ich schon mit meiner Schwester im Zug Richtung Bern unterwegs.