Reisebericht Japan 1998
1. Tag, Ankunft Tokyo (Freitag, 24.4.)
Mit der Boeing 747-400 fliege ich über die Sibirienroute mit dem Flug JL418 der Japan Airlines von Zürich nach Tokyo. Dieser Flug dauert nur rund 11½ Stunden und ich habe das Glück, einen sehr angenehmen und interessanten Gesprächspartner neben mir zu haben. Mit Sake und Rotwein und anregenden Gesprächen vergeht die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes wie im Fluge.
Als wir (pünktlich auf die Minute) in Tokyo-Narita landen müssen wir feststellen, dass das Wetter ganz und gar nicht gut ist und es in Strömen regnet. Die Einreiseformalitäten sind für mich als Schweizer schnell erledigt - einige Passagiere aus der Dritten Welt hatten da weniger Glück, ein Umstand der mir schlagartig in Erinnerung ruft, dass wir auf dieser Welt die Apartheid noch lange nicht überwunden haben - und ein Ticket für den Car, welcher mich direkt ins Hotel bringt, habe ich ebenfalls im Handumdrehen besorgt. Meine ersten zwei Monate Japanisch waren also nicht umsonst!
Der Car bringt mich durch den strömenden Regen in rund 1½ Stunden nach Tokyo ins Keio Plaza Intercontinental. Beim Einchecken übergibt mir die Angestellte auch bereits meine Shinkansentickets, welche ich bereits von der Schweiz aus reserviert hatte. Ich fühle mich aber zu schlaff, um noch irgendetwas zu unternehmen. Den Nachmittag verbringe ich im Halbschlaf vor dem Fernseher, wo Bilder von Überschwemmungen und Schlammlawinen aus dem Süden des Landes gezeigt werden - man kann mit dem Wetter nicht immer Glück haben...
An diesem Abend schaffe ich es nur noch ins nahegelegene NS Gebäude wo ich mein erstes (aber sicher nicht letztes) Sushi verzehre. Da die Angestellten nicht allzuviel zu tun haben, kann ich ein bisschen mein Japanisch üben. Nach einem Drink in der Hotelbar gehe ich früh ins Bett um Kräfte für meinen ersten richtigen Ferientag zu sammeln.
2. Tag, Tokyo (Samstag, 25.4.)
Nachdem ich problemlos schlafen konnte - der Jetlag blieb weitgehend aus - überzeugt mich ein Blick aus dem Fenster, dass das Wetter nicht ganz so schlecht ist, wie es zu befürchten war. Bei einem sehr guten japanischen Frühstück zerbreche ich mir den Kopf, was ich wohl heute anstellen soll. Im Vorjahr war alles viel einfacher: Ich musste nur pünktlich beim Bus sein und der Rest des Tages war organisiert, man musste einfach nur brav dem Reiseleiter hinterhertrotten, welch ein Luxus! Dieses Jahr gilt es mittels Reiseführern, Stadtplänen und Fahrplänen selber die Destinationen und Routen festzulegen und selber Billette zu organisieren.
Mein erstes Ziel ist Ueno, nicht zuletzt deshalb, da Ahikabara,
das Elektronikviertel von Tokyo auf dem Weg
liegt (was
in Tokyo allerdings nicht heissen muss, dass es in der Nähe
ist). Ahikabara, auch unter dem Namen Electric City
bekannt, zwei U-Bahn Stationen südlich von Ueno gelegen,
ist wohl einer der berühmtesten Plätze in Tokyo. Elektronikladen
reiht sich hier an Elektronikladen und entsprechend ist die
Konkurrenz gewaltig und die Preise entsprechend niedrig. Dazu
kommt noch, dass man hier über die Preise noch verhandeln
kann, etwas was in Japan ansonsten extrem unüblich ist. Man
muss sich aber vor Augen halten, dass die Preise nur im Vergleich
zum Rest von Japan günstig sind, verglichen mit unseren Preisen
sind sie in etwa gleich. Erstaunlich sind einzig die Mobiltelefone:
Für 250.-- Franken erhalten Sie bereits ein Gerät, welches
unter 100g wiegt, nur ca. 4cm breit ist und erst noch über
eine Woche Stand-by Zeit bietet. Leider benutzen japanische
Telefone PHS (Personal Handyphone System) und sind damit absolut
inkompatibel zu unserem GSM Standard. Wenn Sie ein Elektronikfreak
sind und es Ihnen egal ist, dass die Spannung in Japan eine
andere ist (110V), können Sie in Akihabara aber bestimmt sonst
ein Gerät finden, welches bei uns erst in Monaten (oder gar
nie) herauskommen wird.
Ich für meinen Teil habe mich nur nach DAT Playern umgesehen: diese sind zwar auch in Japan auf dem absteigenden Ast, aber es sind noch deutlich mehr Modelle verfügbar als in der Schweiz - trotzdem finde ich leider kein Schnäppchen und so verlasse ich die Glitzerwelt von Akihabara mit leeren Händen und fahre nach Ueno um den dortigen Park zu besuchen.
Der Ueno Park, im Nordosten Tokyos gelegen, beherbergt mehrere bekannte Museen (wie dem Tokyo Nationalmuseum und mehrere Kunstgalerien). Mir ist aber trotz des für Museumsbesuche idealen Wetters nicht danach und auch den Ueno Zoo lasse ich links liegen (es gibt keinen wirklich vernünftigen Grund sich diesen anzusehen) und besuche den Tosho-gu Schrein und dessen Blumengarten.
Von dort gehe ich zu Fuss nach Asakusa, welches drei U-Bahnstationen östlich liegt (ca. 45 Minuten zu Fuss). Auf dem Weg dorthin geht es durch ein Viertel, in welchem sich mehr oder weniger ausschliesslich Läden, welche Hausschreine führen befinden. Von Kleinstschreinen für wenige Tausend Yen bis zu Prachtexemplaren für zweistellige Millionenbeträge (ca. 100'000.-- Franken) gibt es alles in den Auslagen zu bewundern.
In Asakusa angekommen schaue ich mir als erstes den Hauptsitz
der Asahi Brauerei an. Dieses Gebäude, vom berühmten französischen
Designer Philippe Starck entworfen, ist eher ein Objekt als
ein Gebäude. Es stellt ein Bierglas und eine Flamme dar, die
Tokyoter haben für letztere aber einen wenig schmeichelhaften
aber treffenden Namen gefunden: The golden shit
, genauso
sieht er auch aus... Dennoch hat das Gebäude durchaus seinen
Reiz und verleiht dem Viertel eine ganz besondere Note. Dafür
bin ich aber nicht gekommen und ich gehe weiter zum Asakusa
Bahnhof der Tobu Linie, welcher sich im Erdgeschoss des Matsuya
Warenhauses befindet. Eine Fahrt mit der Tobu Line ist die
bequemste und schnellste Art, nach Nikko, dem Ziel des nächsten
Tages, zu reisen. Da Nikko am Sonntag hoffnungslos überfüllt
zu sein pflegt, ist es ratsam die Zugtickets im voraus zu
kaufen.
Dort angekommen ist mir schnell klar, dass der Durchschnittstourist
mit Reisegruppe und Bus nach Nikko reist: Im Bahnhof ist so
gut wie gar nichts auf Englisch angeschrieben und die Feuertaufe
für meine noch sehr dürftigen Japanischkenntnisse steht mir
offenbar bevor. Nach langem Studium der paar in die Informationstafeln
und Fahrpläne eingestreuten englischen Worte glaube ich zu
wissen, mit welchem Zug zu welcher Zeit ich gerne fahren würde
(und weiss weiter, wie ein Analphabet sich bei uns fühlt).
Also stehe ich am Schalter an und übe im mitgebrachten Japanischführer
die wichtigsten Wörter und Sätze. Genau als ich an der Reihe
bin, wird der Schalterbeamte abgelöst: Dies mag Zufall gewesen
sein, ich tippe aber eher darauf, dass der Angestellte mit
den besten Englischkenntnissen eiligst herbeigerufen wurde
um den gaijin
(Ausländer) abzufertigen. Nach 5 Minuten
englisch / japanischem Kauderwelsch, bei dem sich aber die
Tatsache, dass ich Daten und Zeiten leidlich beherrsche durchaus
bewährt, habe ich meine Fahrkarten und Platzreservationen
für den Express nach Nikko in der Tasche.
Einiges entspannter steuere ich noch den Asakusa Kannon Tempel
(der eigentlich Senso-ji Tempel
heisst, unter diesem
Namen aber weniger bekannt ist) an. Diesen habe ich schon
im Vorjahr besucht, ich möchte aber vom breiten Verpflegungsangebot
Gebrauch machen: ich verputze ein paar Yakitori und dazu ein
Bierchen. Anschliessend hole ich mir noch einen Orakelspruch,
auf dem ich beruhigt feststellen kann, dass es eine gute
Zeit für eine Reise ist
. Als ich den Tempel schon wieder
verlassen will, spricht mich ein Japaner in sehr gutem Englisch
an und fängt an, mich auszufragen: Woher ich komme, was ich
in Japan mache etc. Gerne beantworte ich ihm diese Fragen
und wundere mich ein bisschen: Fremde auf offener Strasse
anzusprechen gehört eigentlich nicht zu den Gepflogenheiten
der Söhne und Töchter Nippons. Dies klärt sich aber schnell
auf: Er besucht gerade einen Englischkurs und geht jeden Sonntag
an touristische Orte um mit Ausländern ein bisschen zu üben.
In gutem Englisch erzählt er mir auch, was er von der Schweiz
so weiss: Dass wir vier Landessprachen sprechen, wie gross
der jeweilige prozentuale Anteil ist (das wusste selbst ich
nicht) und dass sich die Schweiz zur immerwährenden Neutralität
verpflichtet hat. Er sollte beileibe nicht der einzige Japaner
bleiben, welcher diese Dinge weiss und die immerwährende
Neutralität
kann er sogar auf Deutsch aussprechen. Bei
uns mag diese in letzter Zeit aus der Mode gekommen sein,
im stark pazifistisch eingestellten Japan scheint das Konzept
der Neutralität aber nach wie vor auf Interesse zu stossen.
Nach einem Bummel durch die Gegend um den Tempel, welche nebst
vielen Läden mit traditionellen Handwerkswaren, auch ein bekanntes
Vergnügungsviertel ist. Hier stand z.B. das erste Kino Japans,
das Denki-kan
(Elektrizitätspavillion), welches bereits
1903 den ersten Film zeigte. Entsprechend gibt es heute noch
viele Kinos in dieser Gegend, diese zeigen allerdings fast
durchwegs nur noch Filme der schmuddeligeren Sorte. Früher
war Asakusa ein Rotlichtbezirk
und auch wenn es heute
ziemlich harmlos zu und her geht, ist die Gegend nach wie
vor etwas anrüchig. Asakusa ist das beliebteste Ziel japanischer
Touristen vom Land und es fällt entsprechend sehr schnell
auf, dass die meisten Besucher nicht aus Tokyo stammen.
Vor dem Abendessen möchte ich mein erstes japanisches Bad nehmen. Nun hat aber das Keio Plaza keinen Badeclub (ein echtes Minus) und Shinjuku ist leider nicht die Gegend, in der man mal eben schnell für ein paar Yen das öffentliche Bad benutzen kann. Aber fragen kostet nichts und schnell ist ein Eintritt in einen nahegelegenen Club organisiert (allerdings zu einem geradezu obszönen Preis). Das Bad selber ist dem Preis allerdings nicht angemessen und ich kann es kaum empfehlen. Der einzige echte Pluspunkt ist der, dass in diesem Bad wirklich sehr viel Betrieb ist (selbst im Pool, welcher sonst eher leer zu sein pflegt, kam es mitunter zu kleineren Staus) und es daher recht interessant ist. Dass allerdings ein Erfrischungsgetränk noch extra kosten sollte, hat mich fast aus dem Badetuch gehauen und ich kann es daher wirklich nicht empfehlen. Wenigstens kann man sich sicher fühlen: Am Eingang war ganz klar angeschlagen, dass Kriminellen und Gangstern der Eintritt strikte verboten ist - vermutlich halten sich in Japan sogar diese an solche Vorschriften, wundern würde es mich nicht.
Danach steht ein traditionelles Kaiseki-Essen auf dem Programm. Im gediegenen Lokal wird man formvollendet von älteren Damen im Kimono bedient - in Japan ein sicheres Zeichen für Spitzengastronomie. Kaiseki ist kein Gericht sondern bezeichnet aufwendige, traditionelle Küche. Zehn verschiedene Speisen sind dabei das Minimum und neben der Qualität des Essens ist besonders die Präsentation umwerfend. Dies fängt bereits bei der Bedienung an: Zwar gibt es kein Tam-Tam wie bei französischer Spitzengastronomie, aber es fällt sofort auf, dass die Damen diesen Job wohl schon seit Jahrzehnten machen und rein gar nichts dem Zufall überlassen ist. Wie etwa bei Ikebana (der traditionellen Kunst des Blumen arrangierens) ist nicht nur das Resultat der Handlung sondern eben auch die Art und Weise, wie diese abläuft, wichtig. So wähnt man sich schon fast bei einer Teezeremonie, welche ja eigentlich auch nichts anderes als das Servieren von Tee beinhaltet.
Das Erlebnis geht beim Geschirr weiter: Keine zwei Schalen sind gleich, eine ist schöner als die andere und jede passt perfekt zum darin enthaltenen Essen. Das Essen selber ist ein Hochgenuss für alle Sinne: Neben dem Geschmacks- und Geruchssinn kommt auch das Auge auf seine Kosten. Optischer Höhepunkt ist bei diesem Essen eindeutig das Tempura: Eingerahmt von zwei Stücken Gemüse steht aufrecht ein kleiner Fisch, welcher kaum von Teig überzogen ist und mit seinem geöffneten Maul aussieht, als ob er gerade aus dem Wasser gesprungen sei um sich eine Mücke zu schnappen. Neben Tempura gehört übrigens auch Sashimi und eingelegte Gemüse zu den Fixpunkten in jedem Kaisekiessen. Dies wird immer durch lokale und saisonale Spezialitäten ergänzt und zum Schluss darf selbstverständlich eine Schale Reis und eine Suppe nicht fehlen.
Sollten Sie also rund 200.-- Franken für ein Essen nicht abschrecken (Wert ist es diesen Betrag auf jeden Fall), dürfen Sie sich aufwendiges Kaiseki auf keinen Fall entgehen lassen. Kyoto ist für sein Kaiseki in ganz Japan berühmt und es ist daher wohl der beste Platz, es einmal zu versuchen. Erkundigen Sie sich aber unbedingt im voraus (!) nach dem Preis, ansonsten könnte Ihnen eine böse Überraschung bevorstehen.
3. Tag, Nikko (Sonntag, 26.4.)
Gemütlich stehe ich auf und breche ca. eine Stunde vor der Abfahrt des Zuges nach Nikko in Richtung Asakusa auf. Als ich so gemütlich in der U-Bahn sitze und den Plan der Stationen ansehe, ahne ich langsam, dass die Strecke von Shinjuku nach Asakusa nicht so kurz ist wie sie mir anfänglich erschien und Tokyo eben doch eine riesige Stadt ist. Mit jeder Minute die verstreicht werde ich nervöser und nervöser: Sollte all die Mühe, ein Billett zu kaufen am Ende umsonst sein? Rund 8 Minuten vor Abfahrt bin ich endlich in der JR Station von Asakusa, jetzt muss ich nur über die Strasse um den Bahnhof zu wechseln und dort das richtige Gleis finden. Glücklicherweise gibt es im Bahnhof der Tobu Linie nur wenige Geleise und der richtige Zug ist sofort gefunden. Mit hängender Zunge erreiche ich den hochmodernen Zug 4 Minuten vor Abfahrt: Das ganze Gehetze war eigentlich unnötig...
Grundsätzlich ist in Japan der Service auch auf der Schiene hervorragend und bei den Privatbahnen generell noch besser als beim Shinkansen der JR und so ist es auch hier: Bereits vor dem Zug wird man von der ersten netten Zugbegleiterin begrüsst und fühlt sich im Zug sofort willkommen (nebst der Tatsache, dass man sich bei dieser Gelegenheit erkundigen kann, ob man in den richtigen Zug einsteigt). Bei der Billettkontrolle schlägt die Tobu Line aber alle Rekorde: Dafür werden nicht weniger als drei Leute beschäftigt! Die erste begrüsst einen und macht einen auf die Billettkontrolle aufmerksam (denke ich, mein Japanisch ist noch nicht so gut), die zweite nimmt das Billett in Empfang und leitet es an den dritten im Bunde, dem eigentlichen Kontrolleur weiter. Dieser prüft und locht das Billett und es nimmt den gleichen Weg zurück. So macht ein Billettkontrolle als Kunde direkt Spass.
Mann und Frau
Die Szene ist sehr typisch für die Rolle der Frau in der
japanischen Gesellschaft und erst recht in der japanischen
Arbeitswelt. Zwar werden ganze Heerscharen hübscher, junger
Frauen gerne für Repräsentationszwecke eingesetzt, sobald
jedoch eine wichtige
Aufgabe, wie hier das eigentliche
Prüfen des Fahrscheines, zu erledigen gilt, macht dies
in Japan ganz selbstverständlich ein Mann.
Bevor man aber Japan (weitgehend zu recht!) als ziemlich chauvinistisch verurteilt, sollte man sich vielleicht doch auch an der eigenen Nase nehmen. Zwar ist es richtig, dass solche Szenen bei uns kaum mehr denkbar sind: aber woran liegt das? Ich glaube leider, dass dies weniger daran liegt, dass die Situation bei uns so viel anders ist. Liegt es nicht vielleicht daran, dass es bei uns nur nicht mehr so offensichtlich ist?
Entspannt lese ich ein bisschen und lasse die Gegend an mir
vorbeiziehen. Da kommt eine der Zugbegleiterinnen und versucht
mir zu erklären, dass ich für Nikko umsteigen muss. Ich glaube
es zu verstehen (hai, wakarimashita!
) und ich kann
mich wieder zurücklehnen. Dummerweise habe ich nach einer
halben Stunde (die Fahrt dauert eine gute Stunde) den Stationsnamen,
an welchem ich umsteigen soll, schon wieder vergessen und
ich realisiere, dass die Stationen samt und sonders in Kanji
angeschrieben sind. Auch mein Poker, dass die meisten im Zug
das gleiche Ziel haben und ich einfach der Masse hinterhertrotten
kann, scheint nicht aufzugehen: Der Zug leert sich an jeder
Station bedenklich. Also muss ich mir das mit dem Umsteigen
wohl genauer erklären lassen. Das Zugpersonal ist glücklicherweise
schnell gefunden - in solchen Zügen gibt es in Japan immer
einen Informationsstand, der während der Fahrt ständig besetzt
ist. Dort angekommen bewährt sich wieder einmal mehr, dass
ich wenigstens Zeiten auf japanisch verstehe. Da Züge in Japan
überpünktlich sind, genügt diese Information, um automatisch
an der richtigen Station auszusteigen. Versorgt mit (mindestens
10 Jahre alten) englischen Informationen über Nikko und einem
Bier kehre ich in meinen Wagen zurück.
Den Umsteigebahnhof hätte ich ohne die Zeit wohl kaum erkannt:
Es ist ein kleiner Provinzbahnhof, welcher durch nichts von
anderen Zwischenhalten zu unterscheiden ist und in dem rein
gar nichts auf Englisch angeschrieben ist. Ich steige in einen
kleinen Vorortszug um, nicht weil ich etwa wüsste, dass es
der richtige ist, sondern nur deshalb, weil es der einzige
ist und die zwei, drei Leute, die ebenfalls ausgestiegen sind,
dies ebenfalls tun. Eine Station später kommt aber die beruhigende
Nachricht über die Lautsprecher: Nikko-eki
(Bahnhof
Nikko), ich bin am richtigen Ort. Da es noch immer regnet
kaufe ich mir im Bahnhof noch schnell einen der letzten Regenschirme
- diese gehen an diesem Tag weg wie frische Semmel - und breche
Richtung Sehenswürdigkeiten auf. Bei meinem Spaziergang durch
Nikko - eine kleine Stadt wie jede andere - fallen mir verdächtig
aussehende Leute in langsamen Autos auf: Sind dies etwa Einbrecher
beim Ausbaldowern von Raubzügen? Danach sehen sie allerdings
nicht aus und die Wahrscheinlichkeit dafür ist in Japan sowieso
minimal, also vergesse ich sie wieder.
Der Regen und der Nebel drücken zwar ein bisschen auf die Stimmung und sind eher lästig - obwohl ich langsam Übung im Wechseln von Filmen mit einer Hand und zwischen Kopf und Schulter eingeklemmtem Schirm habe - Nikko hat aber bei solchem Wetter durchaus seinen Reiz. Die Japaner sagen, dass der Regen die Landschaft verzaubert und sie haben durchaus recht damit. Die üppigen mit Farbe und Gold verzierten Tempel, welche langsam aus den Nebelschwaden auftauchen, haben etwas mystisches und die Pracht, welche sich beim Herannahen Stück um Stück entfaltet, wirkt sehr beeindruckend. Das berühmte Grab des Ieyasu Tokugawa, dem Begründer der Tokugawa Dynastie, welche als Shogune über 300 Jahre Japan beherrschten, sehe ich so, wie er in den meisten Bildbänden abgebildet ist: Bei Regen und von Nebelschwaden umgeben.
Beim Bewundern der sehr schönen Tempel - Nikko ist zu Recht für jeden Japanreisenden eine Pflicht - fallen mir aber wieder verdächtig aussehende Herren in betont unauffälligen Mänteln auf. Als ich dann noch sehe, dass jeder einen Knopf im Ohr hat, wähne ich mich bereits in einem Agentenfilm. Als ich so durch die Tempel schlendere und mir überlege, ob es mit meinem Japanisch überhaupt Sinn macht, einen zu fragen, was er denn hier so tut, laufe ich an einer Gruppe Touristen vorbei. Ich staune nicht schlecht, als ich den Herrn in der Mitte erkenne: Jaques Chirac lässt sich Nikko zeigen! Am Abend sehe ich dann in den Nachrichten, dass er auf Staatsbesuch weilt. Japan ist wohl zusammen mit der Schweiz eines der wenigen Länder, in denen ein solch minimaler Personenschutz ausreicht - wäre ich ein Fanatiker mit Hass auf Frankreich gewesen, hätte ich ihn ohne grössere Probleme angreifen können.
Neben den Tempeln ist der Kegon Wasserfall die zweite Attraktion von Nikko. Zwar ahne ich, dass dieses Wetter wohl alles andere als ideal ist, um sich diesen anzusehen. Auch der Taxifahrer, den ich nach dem Preis für die Fahrt frage, warnt mich davor, dass man ev. nicht viel von ihm sehen kann. Da ich nun aber schon einmal da bin, steige ich ins Taxi und lasse mich über die abenteuerliche Serpentinenstrasse zu ihm fahren. Oben angekommen werden die schlimmsten Befürchtungen wahr: Nebel wohin der Blick reicht. Der Taxifahrer bedauert dies sehr, zeigt mir noch wo der Bus fährt und ich fahre mit dem Lift zum eigentlichen Wasserfall. Immerhin habe ich den Kegon Wasserfall gehört und ausserdem gehen die Japaner bei uns auch auf die Kleine Scheidegg, ob man dort etwas sieht oder nicht...
Aufgrund des Wetters ist der kleine Ort, der ausschliesslich
von Touristen lebt, wie ausgestorben und so gibt es hier nichts
mehr zu tun oder anzuschauen und ich schlendere zur Bushaltestelle.
Ich habe riesiges Glück, dass der Bus bereits nach 10 Minuten
aus dem Nebel auftaucht: Er fährt nämlich nur jede Stunde
einmal. Ich vermute, dass bei schönem Wetter die Touristenhorden,
für die Nikko berühmt-berüchtigt ist, mit Spezialbussen abgefertigt
werden. Anfänglich fährt mit mir nur ein einziger Japaner
mit. Er ist Reiseführer und kommt schnell mit mir ins Gespräch.
Ich kann mein Japanisch üben und er kann mir beweisen, dass
er in der Schule beim Thema Schweiz
aufgepasst hat.
Nachdem er mir alles erzählt hat, was er so über die Schweiz
weiss - etwa wieviel Prozent der Leute welche Sprache sprechen
- zeigt er mir, was er sonst noch von europäischer Kultur
weiss. Er singt mir verschiedene deutsche Lieder - er war
in seiner Jugend zu Studienzwecken in Deutschland - wie etwa
Schillers Ode an die Freude
vor. Zum Mitsingen lasse
ich mich aber zu seinem Bedauern nicht bewegen. Danach fängt
er längere Zeit an, in einem Sprachführer zu blättern und
etwas aufzuschreiben. Kurz bevor er aussteigt zeigt er es
mir: Er hat die Worte Immerwährende Neutralität
in
Deutsch aufgeschrieben...
Die Fahrt nach Tokyo zurück ist, da Tokyo nicht zu verfehlen
ist, eine einfache Sache. An diesem Abend probiere ich die
Sushibar im Hotel aus. Diese
sei in ganz Tokyo berühmt
und so bin ich auf gepfefferte
Preise vorbereitet. Und tatsächlich, die Rechnung beträgt
letztlich tatsächlich über 150.-- Franken. Aber in Japan ist
die Leistung immer dem Preis angemessen:
Diese Sushibar hat Platz für nur 10 Leute (glücklicherweise hatte ich reserviert) und hinter dem Tresen stehen 4 Köche bereit, um im Handumdrehen jeden Wunsch des Gastes in die Realität umzusetzen. Zusammen mit der Küche im Hintergrund und den zwei Serviererinnen, welche für die Getränke zuständig sind, gibt es in der Sushibar gleichviel Personal wie Gäste. Und da es sich um eine Sushibar der obersten Kategorie handelt sind die Köche entsprechend qualifiziert. Es ist ein wahres Vergnügen ihnen zuzusehen. Jeder Schnitt, jeder Griff sitzt zu 100% und vom Augenblick der Bestellung bis der Koch die meist paarweise bestellten Sushis direkt auf dem Tresen deponiert, vergehen nur wenige Augenblicke. Gegessen sind sie dann ebenso schnell: Der Koch wartet bis man es gegessen hat und will sofort wissen, ob es geschmeckt hat. Und wie es das tut! Das Sushi schmeckt absolut köstlich und die Reise nach Japan würde sich wohl schon deshalb lohnen!
Die Sprachprobleme sind dank eines kleinen Faltblattes, auf
denen neben einem Bild der Name auf Englisch (damit man weiss,
was man eigentlich isst) und auf Japanisch (damit man es auch
bestellen kann) angeschrieben ist, nicht gross. So esse ich
mich kreuz und quer durch die Karte und bestelle zweimal
toro
. Toro bezeichnet den fetteren Teil des Thunfisches
(der ebenfalls sehr wohlschmeckende aber magerere Rest heisst
maguro
) und gilt in Japan als absolute Spezialität.
Tatsächlich vergeht er fast auf der Zunge (obwohl es sich
ja um rohen Fisch handelt) und der astronomische Preis (ca.
Franken 15.-- pro Sushi) kann mich von einer Nachbestellung
nicht abhalten. An diesem Abend ist mein meistgebrauchtes
Wort eindeutig oishii
(lecker). Es ist übrigens nicht
so, dass alle Sushis wie bei uns einfach nur mit Wasabi und
Soja gewürzt werden: In teureren Lokalen sind die Rezepte
ausgefeilter und es kommen neben Salz auch div. Gewürze zum
Einsatz und der Koch teilt einem jedesmal mit, ob noch Sojasauce
dazu passt oder nicht - nicht nur mir Ausländer sondern auch
den Japanern. Wenn Sie ein Sushifan sind, ist der Besuch eines
teureren Sushilokals (und das Auswendiglernen der Namen) absolut
zu empfehlen, Preis hin oder her.
4. Tag, Fuji-Hakone Tour (Montag, 27.4.)
Als ich am Morgen aufstehe und zum Fenster rausschaue bin ich alles andere als begeistert: Der Nebel hat wieder zugenommen. Dies mag ja in Nikko noch ganz romantisch und geheimnisvoll gewesen sein. Heute steht aber der Fuji-Hakone Nationalpark, dessen Hauptattraktion nunmal der Blick auf den Fuji-san ist. Aber es steht auf dem Programm und ich möchte mir den einzigen Tag, an dem ich mich mal nicht selber um alles kümmern muss, nicht entgehen lassen. Also steige ich nach dem Frühstück tapfer in den Bus ein und fahre damit in den Nebel hinaus, zu dem sich jetzt auch wieder ein hartnäckiger Landregen gesellt hatte.
Wenn man erst einmal aus Tokyo draussen ist (was eine ganze Weile dauert, macht der Bus doch eine Tour von Hotel zu Hotel um die Gäste einzusammeln) geht die Fahrt zwar zügig voran, es ist dennoch eine fast 2-stündige Fahrt. Da es nicht viel zu sehen gibt unterhält uns der Reiseführer so gut es eben geht, nach einer guten Stunde gehen ihm aber langsam die Themen und Geschichten aus. Die einzige Abwechslung bringt ein Halt auf einer Autobahnraststätte, ansonsten war ich froh ein Buch dabei zu haben.
Sobald der Bus aber die Berge erreichte, wurde das Wetter allmählich besser und es lohnte sich wieder zum Fenster hinauszuschauen. Unter anderem sehen wir die Teststrecke des Maglev (Magnetic Levitation), welcher ein paar Monate zuvor mit beinahe 600 km/h den neuen Rekord für Züge aufgestellt hatte und in weniger als 10 Jahren in Betrieb gehen soll um die herkömmlichen Shinkansen Züge weit in den Schatten zu stellen - ich werde dannzumal selbstverständlich sofort nach Japan reisen um mitzufahren.
Bei der Auffahrt zur 5. Station des Fuji-san wird das Wetter besser und besser und ein gewisser Optimismus macht sich langsam breit. Der Weg zum Gipfel ist von insgesamt 10 Stationen, in denen man sich verpflegen und auch übernachten kann, gesäumt. Die eigentliche Strasse führt bis zur 5., welche ziemlich genau auf halber Höhe ist, danach geht es nur noch zu Fuss weiter. Da der Fuji-san beinahe 4000 m hoch ist, überwinden wir doch einen Höhenunterschied von rund 2000 m. Auf dem letzten Kilometer sieht man, dass die Strasse eben erst wieder repariert wurde, da sie von pechschwarzem Schutt verschüttet wurde - dies erinnert schlagartig an die Tatsache, dass der Fuji-san ein Vulkan und kein Berg ist.
Oben angekommen (die 5. Station ist die reine Touristenfalle)
ist das Wetter zwar prachtvoll aber der Gipfel hüllt sich
immer noch in Nebel. Erst kurz vor der Abfahrt zeigt sich
der Fuji-san in ganzer Pracht. Das Hauptziel des Ausflugs
ist damit erreicht und wir können beruhigt Richtung Mittagessen
fahren. Das Mittagessen in einem chinesischen Restaurant ist
an sich nichts besonderes, weder schlecht noch richtig gut
(als Schweizer würde ich den Begriff s'isch rächt gsii
benutzen, welcher mit es war recht
nur unzulänglich
übersetzt werden kann). Dabei stelle ich allerdings fest,
dass ich auf den durchschnittlichen Touristen in Japan eigentlich
ganz gut verzichten kann, war einigen doch schon das Süss-Saure
Huhn zu exotisch...
Vom Hakone Freizeitpark (in dessen sehr schönen Hotel wir gegessen haben) haben wir einen wunderbaren Blick auf den Fuji-san. Aus einer gewissen Distanz ist er eindeutig schöner als von halber Höhe aus. Aus dieser Distanz wird die fast perfekte Form klar sichtbar, gibt es doch nur in Südamerika einen noch perfekteren Vulkandom als denjenigen des Fuji-san. Weiter geht es zum Mt. Hakone, dem zweiten Berg nach dem der sehr schöne Nationalpark, in dem es sich bestimmt ganz wunderbar wandern lässt, benannt ist. Der Mt. Hakone ist weniger hoch als der Fuji-san und wir gehen diesmal mit der Seilbahn (welche übrigens ein Schweizerfabrikat ist, da fühlt man sich doch sofort viel sicherer) bis auf den Gipfel. Leider kommt just als wir herauffahren starker Nebel auf, so dass wir uns diese Fahrt hätten sparen können. Die in Japan unvermeidliche Hostess erzählt zuerst auf Japanisch etwas über den Berg Hakone und drückt dann auf einen Knopf um für uns Gaijins eine englische Fassung ab Band laufen zu lassen. Wir staunen nicht schlecht, als sich dieses wortreich dafür entschuldigt, dass es nichts zu sehen gibt. Woher in aller Welt weiss ein Band, wie das Wetter gerade ist? Wir sind schon fast enttäuscht, als sie uns darüber aufklärt, dass sie einfach je nach Wetter einen anderen Knopf drückt. Ich hatte schon eine Hightechlösung mit Nebelsensoren o.Ä. erwartet!
Danach machen wir noch eine kurze Schifffahrt über den Hakone See, welcher selber ein Überbleibsel eines grossen Vulkans ist. Dabei kann man sehr schön sehen, warum diese Gegend sehr beliebt ist: Sie ist wirklich wunderschön zwischen den Bergen, dem See und einer atemberaubenden Natur gelegen. Das grosse, traditionell gebaute Hakone Hotel (welches wie ein zu gross geratener Tempel aussieht) wird entsprechend von der japanischen Regierung sehr gerne für Tagungen, Konferenzen etc. verwendet. Obwohl es wohl in der oberen preislichen Kategorie einzuordnen ist, wäre es ev. ganz schön hier mal ein paar Tage zu verbringen. Die meisten von uns machen dies nicht (ein Ehepaar hat die Zweitagestour gewählt, der Rest war wohl froh, bei diesem Wetter nicht dasselbe getan zu haben). Bald dunkelt es ein und in 3 stündiger Fahrt inkl. eindrucksvoller Demonstration des absoluten Verkehrschaoses in Tokyo (in dem wir aber erstaunlich flott vorankommen) geht es zurück ins Hotel.
Diese hübschen jungen Frauen sind ein Teil der Zugsbegleitung im Nozomi Nr. 5 von Tokyo nach Hiroshima
5. Tag, Tokyo - Hiroshima - Miyajima (Dienstag, 28.4.)
Da ich ein Eisenbahnfan bin steht an diesem Morgen der Höhepunkt
meiner diesjährigen Japanreise bevor: Einer Reise im neusten
Nozomi der JR East, dem K-500, dem Zug mit der schnellsten
fahrplanmässigen Fahrt zwischen zwei Stationen der Welt. Allerdings
habe ich diesen aufgrund eines inoffiziellen Fahrplanes, welchen
ich auf dem Internet gefunden habe, gebucht und da erst sehr
wenige der Nozomi Kurse mit dieser Generation Zügen verkehrt,
bin ich doch etwas nervös, ob es denn geklappt habe. Wenn
nicht würde mir das sehr zweifelhafte Vergnügen bevorstehen,
die nächste Fahrt, welche ich mit einem alten
Nozomi der 300er Serie
gebucht habe, umzubuchen. Bei den Sprachproblemen und der
sehr geringen Flexibilität der Japaner ein Gräuel.
Frühzeitig (nachdem ich noch viel früher aufgestanden war) breche ich zur Tokyo Station auf: Die Erfahrung, den Zug nach Nikko fast verpasst zu haben, hat mich gelehrt und ich möchte um gar keinen Preis den doch ziemlich teuren Zug nach Hiroshima verpassen. Dort angekommen bleibt mir viel Zeit, mir den Bahnhofsbetrieb und die vielen Leute genauer anzusehen. Aber die Spannung steigt und als der Nozomi eintrifft, kann ich erleichtert feststellen, dass es der richtige ist. Der K-500, ein pfeilähnliches Geschoss, sieht sehr beeindruckend aus. Aber um ihn von aussen zu bewundern bleibt wenig Zeit, schliesslich muss ich einsteigen und der Zug fährt in wenigen Minuten ab. Schnell habe ich noch ein bisschen Verpflegung gekauft und schon sitze ich im vollbesetzten Zug, der Tokyo Richtung Yokohama verlässt.
Der Shinkansen der Serie 500, auch K-500 genannt, ist die neuste und schnellste Erungenschaft der JR East.
Die Fahrt von Tokyo nach Yokohama dauert nur rund 10 Minuten, Anfangs dieses Jahrhunderts benötigte ein Zug für die gleiche Strecke noch eine runde Stunde. Aber in Japan gingen mit dem technischen Fortschritt die Umgangsformen glücklicherweise nicht verloren. Auch im neusten Shinkansen sind die Umgangsformen und die Dienstleistungen des Personals absolut top und bisher wurde auf diesem Gebiet in Japan erfreulicherweise noch nicht gespart. Zwar kostet eine Fahrt mit dem Shinkansen von Tokyo nach Hiroshima die stolze Summe von rund 350.-- Franken, dafür wird aber auch etwas geboten und die Strecke ist mit über 700km, welche in weniger als 4 Stunden bewältigt wird, auch nicht gerade kurz.
Auf der ersten Hälfte der Strecke bis Osaka befinden wir uns
auf der alten Tokaido-Linie, welche vor über 30 Jahren gebaut
wurde. Entsprechend kann der Zug hier nur
rund 240
km/h schnell fahren und gewinnt gegenüber seinen älteren Kollegen
kaum Zeit. Nach Osaka aber führt die Fahrt über die Geleise
der bedeutend neueren Sanyo-Linie und es geht nicht lange,
da erscheint im Display, auf dem normalerweise Nachrichten
angezeigt werden, die Meldung, dass der Zug mit 300 km/h unterwegs
ist. Diese Anzeige wäre aber nicht wirklich notwendig gewesen:
Die Landschaft in unmittelbarer Nähe des Bahndamms ist nur
noch verschwommen wahrnehmbar und Züge, welche jetzt mit an
die 600 km/h gekreuzt werden, sind nur noch als kurze, diffuse
Farbflecken wahrnehmbar. Kurz vor Hiroshima sammeln noch zwei
Mädchen in eigenen Uniformen den Müll ein - eine äusserst
nützliche Einrichtung da sich nach den vier Stunden Fahrt
und der in Japan üblichen ständigen Esserei wahre Abfallberge
angesammelt haben.
Schwer beeindruckt steige ich in Hiroshima aus: Der Shinkansen ist nicht nur eine der schnellsten Arten zu reisen, er ist im Gegensatz zum Flugzeug auch äusserst zivilisiert. Dass den Hochgeschwindigkeitszügen die Zukunft gehört hat man in Europa, Eschede hin oder her, mit rund 20 Jahren Verspätung auch langsam realisiert - wenn jetzt nur der Service vergleichbar wäre.
In Hiroshima fällt mir sofort auf, dass ich das schlechte Wetter
hinter mir gelassen habe. Mit über 30 Grad ist es in Hiroshima
sehr warm und ich bin, da ich kein Gepäck habe und zur Sicherheit
eine Jacke mitgenommen habe, viel zu warm angezogen. Das Gepäck
habe ich mir übrigens direkt nach Osaka per Gepäckdienst senden
lassen, eine sehr angenehme japanische Einrichtung. Schnell
ist die Tramlinie Nr. 1 gefunden, welche mich auf Anraten
meines Reiseführers zum Friedenspark bringt. Der Tipp erweist
sich einmal mehr als goldrichtig: Zwar muss man ein bisschen
das Gefühl für die richtige Station haben (gemäss Führer sollte
sie mit A-Bomb Dome
angeschrieben sein, da hat sich
dieser aber leider in der Linie geirrt), die Fahrt lohnt sich
aber auf jeden Fall. Zusammen mit Sapporo hat Hiroshima eine
der letzten Strassenbahnen in ganz Japan und auf der Linie
Nr. 1 ist alles zusammengetragen, was sich aus der Strassenbahngeschichte
Japans noch zusammenkratzen liess. Die Bahnen sind samt und
sonders mindestens 50 Jahre alt und mit ihren kupfernen Bedienungselementen
herrlich nostalgisch. Auf allen anderen Linien wurde das Rollmaterial
erneuert und es ist zu befürchten, dass es mit der Romantik
auch auf der Linie 1 bald zu Ende gehen wird.
Der Kenotaph von Hiroshima, vom Stararchitekten Kenzo Tange entworfen, mit der Handelskammer im Hintergrund
An einer x-beliebigen Kreuzung steige ich auf gut Glück aus und laufe in die Richtung, in der ich den Friedenspark vermute. Einmal mehr hat mich mein Orientierungssinn nicht verlassen und nach wenigen hundert Metern betrete ich diesen. Der für japanische Verhältnisse sehr weitläufige Park hat eine sehr klare und schöne Struktur.
In einer Linie, die bei der berühmten Handelskammer von Hiroshima
bzw. ihrem Gerippe anfängt und bis zum Museum geht, sind die
beiden wichtigsten Mahnmale aufgereiht: Einerseits ist dies
der Kenotaph (ein Grab ohne sterbliche Überreste), auch Friedensmonument
genannt, dessen eleganter Schwung nicht nur den Blick auf
die Kuppel der Handelskammer freigibt sondern auch eine Truhe,
in deren Inneren Schriftrollen mit den Namen der 108 956 Opfer
der Atombombe aufbewahrt werden. Auf ihr sind die Worte
Alle Seelen mögen hier in Frieden ruhen, denn das Übel
darf sich nicht wiederholen
aufkaligraphiert, eine
sehr japanische Formulierung. Dahinter brennt eine Flamme,
die erst dann erlöschen soll, wenn alle Atombomben dieser
Welt entsorgt sind. Leider sieht es nach den Atombombentests,
welche Indien und Pakistan durchgeführt haben, so aus, als
ob diese Flamme noch eine ganze Weile brennen wird.
Weiter gibt es die bekannte Friedensglocke, bei der jeder Besucher
aufgefordert wird, sie einmal zu läuten um damit seinem Wunsch
Ausdruck zu geben, dass alle Atomwaffen vernichtet werden
sollen - eine Aufforderung der ich aus ganzem Herzen folgen
kann. Auch der Ground Zero
, über dem die Bombe gezündet
wurde und auf dessen Gelände in den Tagen, welche unmittelbar
dem Angriff folgten über 40 000 Menschen kremiert wurden,
ist auf dem Gelände, das während des Krieges ein Militärlager
war, gelegen. Am bewegensten empfand ich aber die Statue eines
kleinen Mädchens, welches Jahre nach dem Angriff an Leukämie
erkrankt war. Im Spital war sie überzeugt, dass, wenn es ihr
gelänge, 1 000 Papierkraniche zu falten, sie die Krankheit
besiegen würde. 1 000 Kraniche zu falten wird senbazuru
genannt und wird gemacht, wenn ein Wunsch in Erfüllung gehen
soll. Nachdem sie bereits 1 400 solche gefaltet hatte, starb
sie. Bis heute bringen alle Schulkinder - und jeder Japaner
geht während seiner Schulzeit einmal nach Hiroshima - Tausende
und Abertausende von Papierkranichen zu ihrem Denkmal. Dieses
Einzelschicksal und die rührende Anteilnahme der Kinder macht
meiner Meinung nach das Unfassbare am ehesten begreifbar,
alle anderen Zahlen bleiben reine Statistik.
Das eigentliche Museum, am anderen Ende des Parks gelegen, ist sehr gut gelungen und versucht sein bestes, die Geschehnisse von vor über 50 Jahren mit moderner Technik begreifbar zu machen. Allerdings ist die Ausstellung nicht sehr objektiv und es wird unterschwellig der Eindruck erweckt, Hiroshima sei während des Krieges eine ausschliesslich von Kindern und Frauen bevölkerte friedliche Stadt gewesen, über die das Unglück wie aus heiterem Himmel hereinbrach. Zwar wird die Tatsache, dass Japan einen unmenschlichen Vernichtungskrieg in Asien führte, welcher letztlich zu den Ereignissen führte, nicht verschwiegen, sie wird aber in einer Art und Weise präsentiert, dass sie fast vergessen geht.
Dennoch ist der Besuch des Museums ein Muss. Es ist sehr beeindruckend gestaltet und es ist zu hoffen, dass noch möglichst viele Besucher sich die Ausstellung anschauen. Egal wie man die Ereignisse vor 50 Jahren politisch wertet, ist wohl jeder, der sie gesehen hat, davon überzeugt, dass sich der Einsatz der Atombombe nie wiederholen darf. Der Friedenspark von Hiroshima ist damit sicherlich ein Beitrag zu einer friedlicheren Welt.
Aber wie jeder Tourist muss ich solche Gedanken schnell über Bord werfen und breche in der brütenden Hitze wieder Richtung Bahnhof auf. Diesmal gehe ich zu Fuss durch Hiroshima und stelle dabei hautnah fest, dass Hiroshima eine ganz normale japanische Stadt ist und abgesehen vom Friedenspark überhaupt nichts mehr daran erinnert, dass die Stadt vor 50 Jahren durch eine einzige Bombe vollständig zerstört wurde. Die Japaner, von je her an Katastrophen gewohnt, hatten schon wenige Tage nach dem Abwurf der Bombe mit dem Wiederaufbau begonnen.
Bald bin ich wieder am Bahnhof und ein Ticket nach Miyajima-Guchi, dem Hafen für die Überfahrt nach Miyajima, ist schnell gekauft. Noch ist früher Nachmittag und es sind noch nicht viele Leute im typischen Vorortszug der JR - gegen Abend nach Miyajima zu fahren kann ich dagegen kaum empfehlen. Miyajima-Guchi selber ist ein kleiner Ort, welcher sichtlich von den Touristen lebt, die Miyajima, die berühmte heilige Insel vor Hiroshima besuchen gehen. Die Überfahrt mit der Fähre der JR ist recht kurz und ich sehe zum erstenmal den berühmten Torii von Miyajima, neben dem Fuji-san das berühmteste Bild ganz Japans. Der Torii von Miyajima steht um diese Tageszeit allerdings aufgrund der Ebbe im Schlamm und ich habe auch ganz andere Sorgen: Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo mein Hotel ist oder wie gross der Ort Miyajima eigentlichen ist. Also steuere ich schnell die Touristeninformation an und gerade als die anwesende Dame anfängt mir zu erklären, wo das Hotel Iwaso liegt, bemerkt sie einen Bus des Hotels vor dem Bahnhof: Der Fahrer wartet bereits auf mich, obwohl er eigentlich keine Ahnung haben konnte, wann ich überhaupt ankomme. Typisch japanischer Service und ich bin wieder einmal eine Sorge los.
Als der Wagen beim Hotel ankommt, haben sich die Angestellten bereits vor dem Hotel versammelt und begrüssen mich mit einer Verbeugung. Kurz keimt in mir der Verdacht auf, dass sie eher Jaques Chirac als mich erwartet haben, doch dies scheint in einem guten Ryokan der normale Service zu sein. Eine genaue Beschreibung der Besonderheiten eines Ryokans finden sie im Abschnitt Japan für Anfänger.
Das Iwaso
ist wunderschön am Rand des Ahornparks gelegen
und bietet einen atemberaubenden Blick auf den Torii von Miyajima.
Der Service ist, wohl auch weil zu diesem Zeitpunkt nur ganz
wenige Gäste im Ryokan wohnten, hervorragend. Zum Tee gibt
es eine Spezialität von Miyajima, eine Süssigkeit in Form
eines Ahornblattes, welche sehr gut zum Tee passt. Das anschliessende
Bad ist zwar sehr schön, aber da ich der einzige männliche
Gast im Iwaso
bin, etwas langweilig. Danach erwartet
mich jedoch das üppigste Mahl, welches ich je in Japan gegessen
habe.
Auf dem Tisch stehen unzählige Schalen (mindestens 30 an der Zahl), jede gefüllt mit einer kleinen Köstlichkeit und ich frage mich, wer in aller Welt dies alles essen soll. Da ich alleine bin und das Personal genug Zeit hat, kümmert sich eine der älteren Damen fast während des ganzen Essens um mich. Zwar spricht sie kein Englisch, da wir aber alle Zeit dieser Welt haben, geht es mit Zeichensprache und meinem dürftigen Japanisch ganz gut. Sie zeigt mir, wie man gewisse Dinge isst (z.B. kleine, verschlossene Meeresschnecken, welche wohl noch vor ein paar Stunden glücklich im Meer lagen und ganz hervorragend schmecken), schenkt mir ständig Sake nach und übt geduldig Japanisch mit mir. In der Zwischenzeit ging die Sonne über den Hügeln hinter Hiroshima unter und der Torii, welcher in der Nacht beleuchtet wird, strahlt sein geheimnisvolles Rot in die Nacht heraus. Als ich langsam aber sicher aufesse wundere ich mich nur, dass es keinen Reis und keine Suppe gibt - da ich aber schon pappsatt bin, bin ich eigentlich ganz froh darum.
Aber eben, in Japan gibt es niemals ein Essen ohne Reis und
schon bald trägt sie eine Schale gebratenen Reises mit Nüssen
und eine Muschelsuppe herein. Da es in Japan als unhöflich
gilt, nicht aufzuessen, stopfe ich tapfer auch noch diesen
Gang runter und frage mich, ob ich nach all dem Essen überhaupt
noch werde aufstehen können. Aber das sollte nicht alles bleiben:
Da der Reis gebraten war und es in Japan sonst eigentlich
immer gekochten Reis zum Essen gibt, war der Reis eigentlich
nur ein weiteres Gericht. Der Abschluss, gekochter, weisser
Reis mit Misosuppe kommt noch! Allen die glauben, dass man
in Japan kaum etwas zu essen kriegt, empfehle ich ein Abendessen
im Iwaso
, dieses wird sie gründlich vom Gegenteil überzeugen.
Nach dem Essen soll man ruhen oder tausend Schritte tun. Die Bedienung legt mir eine Überziehjacke, welche man über die Yukatta anzieht, bereit und macht mir klar, dass ich mir den Torii bei Nacht auf gar keinen Fall entgehen lassen darf. Dieser Meinung kann ich mich anschliessen und so schlurfe ich durch das nächtliche Miyajima, welches in einem sehr traditionellen Stil gebaut ist und wohl für uns Touristen am ehesten der Vorstellung eines traditionellen Japans entspricht. Ich und die anderen, ausnahmslos japanische Touristen, bewundern den Torii, der in der Zwischenzeit in völliger Nacht im Meer steht und hellrot leuchtet (wie auch der restliche Tempel). Die Flut, welche in der Zwischenzeit eingesetzt hatte, sorgt dafür, dass die Reflexionen auf dem Wasser den Eindruck noch verstärken.
Miyajima gilt als einer der drei schönsten Orte Japans. Diese Ranglisten, welche einem auf einer Japanreise ständig begegenen, sind eine Eigenheit Japans. Manchmal erscheint es mir, als ob alles irgendwie klassiert wäre. Die schönste öffentliche Toilette Japans habe ich allerdings verpasst, aber Sie können mir ruhig glauben, dass es diese selbstverständlich ebenfalls gibt! Miyajima trägt diesen Ruf zu Recht: Der Torii bei Nacht ist der absolute Höhepunkt und eine Übernachtung auf der Insel ist absolut zu empfehlen.
Nachdem ich im Ryokan zurück bin stelle ich fest, dass der
Tisch zur Seite geräumt ist und das Futon bereit ist. Da das
Zimmer für 6 Personen gedacht ist (so viele Futons hat es
auf jeden Fall im Schrank) ist das Platzangebot sehr komfortabel.
Ich gehe jedoch nochmals schnell ins Bad und bin zu dieser
späten Stunde nicht mehr alleine: Einer der Köche des Iwaso
benutzt das Bad ebenfalls und wir kommen schnell ins Gespräch.
Er ist noch jung und entsprechend erst in der Lehre (er kocht
den Reis und schneidet das Gemüse). Leider muss er schon bald
schlafen gehen, da er um halb fünf aufstehen muss - ich hatte
schon gehofft, endlich jemanden gefunden zu haben, mit dem
ich noch ein Bierchen kippen gehen könnte. Als ich später
ebenfalls ins Bett gehe, schaudert es mich beim Gedanken,
so früh aufstehen zu müssen, noch immer. Da die Tatamis im
Zimmer noch neu sind, duftet das ganze Zimmer wunderbar nach
Reisstroh und glücklich und zufrieden schlafe ich beim Plätschern
des nahen Baches ein.
6. Tag, Miyajima - Osaka (Mittwoch, 29.4.)
Erholt stehe ich auf und nach Bad und Frühstück checke ich
ein bisschen traurig aus: In Miyajima wäre ich auf jeden Fall
gerne länger geblieben! Aber es hilft nichts: es gibt Berge
zu erklimmen, Züge zu erwischen und Hotels zu finden! Das
mit dem erklimmen
nehme ich allerdings nicht wörtlich
und bevorzuge die deutlich bequemere rope-way
(wie
eine Luftseilbahn in Japan genannt wird), welche mich in kurzer
Fahrt fast bis auf den Gipfel des Berges Misen bringt.
Zwar wusste ich aus dem Reiseführer, dass der Berg nur 530m hoch ist. Da ich aber dennoch nicht sicher war, wie lange ein Auf- und Abstieg dauert und ich in Hiroshima den Shinkansen erwischen muss, habe ich auf einen Aufstieg verzichtet. Dennoch komme ich beim Überwinden der letzten 100m zum eigentlichen Gipfel gehörig ins Schwitzen. Nicht nur habe ich ein etwas gar forsches Tempo angeschlagen, ich unterschätzte auch die Wirkung der Sonne bei rund 30°. Ausserdem habe ich erstmals einen Platz in Japan gefunden, auf dem es mal keine Getränkeautomaten gibt! Glücklicherweise sind die Flüsse sauber und auch in den diversen Tempeln, welche es auf und um den Berg hat, gibt es immer wieder Brunnen.
Vielleicht machen mich aber auch nur die Affen nervös, vor denen verschiedene Tafeln warnen. Besonders die Warnung, den Affen nicht direkt in die Augen zu blicken, geben mir zu denken: Wann hat ein Affe denn das Gefühl, dass man ihn anstarrt? Der Hinweis, doch keinen Rucksack (oder ähnliches) mitzunehmen, kommt ein bisschen spät: Ich habe selbstverständlich meinen Rucksack, welchen ich als Daypack benutze, dabei. Ich sehe mich schon, mein Hab und Gut gegen eine wütende Meute riesiger Affen verteidigen... Aber wenig später erblicke ich den ersten. Die Warnungen tragen etwas dick auf: Die Affen sind in Wahrheit nur ca. 40cm gross und wirken alles andere als bedrohlich.
Obwohl am 29. April die Golden Week
angefangen hat,
in der halb Japan Ferien hat und im Land umherreist, bin ich
an diesem Morgen auf dem Berg Misen so gut wie alleine. Entsprechend
schön und ruhig ist die kleine Wanderung und ich kann neben
den Affen auch Hirsche und andere Tiere, welche den Wald bevölkern,
beobachten. Auch die Tempel, von denen es auf dem Berg Misen
verschiedene gibt, strahlen an diesem wunderschönen Tag eine
Ruhe aus, die in den ansonsten überlaufenen Anlagen fehlt.
Plötzlich scheint mir die Vorstellung, dass an diesen Plätzen
Götter wohnen, nicht mehr so abwegig.
Je näher ich dem Ziel, dem Ort Miyajima komme, desto öfters
begegnen mir wieder Leute. Dennoch bin ich überrascht, dass
auch der berühmte Itsukushima-Schrein nicht übermässig besucht
ist. Den Beschreibungen in diversen Reiseführern nach, hatte
ich erwartet, dass in der Golden Week
überall der Teufel
los sei. Ich kann dies aber nicht bestätigen und wenn ich
auch nicht empfehlen kann, eine Reise absichtlich in diese
Zeit zu legen, meiden muss man Japan deswegen zwischen dem
29. April und dem 5. Mai definitiv nicht. Allerdings sollten
Sie alle Züge und Hotels vorher reservieren.
Erstaunt stelle ich einmal mehr fest, wie tolerant und unverkrampft in Japan mit Religion umgegangen wird: Mitten im Itsukushima-Schrein wird gerade die Bühne für ein Rockkonzert aufgebaut, das am nächsten Abend stattfinden soll. Ich bin gespannt, ob ich es je erleben werde, dass das selbe auf dem Petersplatz oder in Mekka möglich sein wird - in der religiösen Bedeutung ist Miyajima, einer der heiligsten Orte in ganz Japan, durchaus vergleichbar.
Wie ich gekommen bin, verlasse ich die Insel wieder: mit einer Fähre der JR. Ich bin bald wieder in Hiroshima - ich kenne mich in der Zwischenzeit ja aus. Den richtigen Zug zu finden ist gar kein Problem und ausgerüstet mit einem Bento und meinem Lieblingsbier (einem Kirin Ebisu) besteige ich schon bald den Nozomi der Serie 300 in Richtung Osaka. Unterwegs bei immerhin noch 270km/h versuche ich Karten zu schreiben, leider erweist sich dies als unglückliche Idee: Im Gegensatz zum neueren K-500 schüttelt es im Serie 300 Nozomi bei voller Geschwindigkeit ziemlich und meine sowieso nicht sonderlich schöne Schrift mutiert endgültig zu einem unleserlichen Gekritzel: Sollten Sie also eine völlig unleserliche Karte aus Japan erhalten haben, wissen Sie jetzt warum!
Als ich in Osaka aus dem Zug steige, haut mich die Hitze fast
um. Es ist an diesem Tag weit über 30° und im Gegensatz zu
den kühlen Wäldern von Miyajima ist dies in der Stadt doch
ziemlich unangenehm. Entsprechend steige ich auch sofort in
die U-Bahn in Richtung der Station Namba, auf der mein Hotel,
das Nankai South Tower
, steht (Sie haben richtig gelesen,
das Hotel ist Teil des Bahnhofs und steht direkt darauf).
Nach kurzer Fahrt komme ich dort an und sofort fällt mir wieder
ein, wo der Haken an dieser Station ist: Namba, die grösste
Station von Osaka, ist nicht sonderlich übersichtlich und
kennt über 50 verschiedene Ausgänge! Wenn man den richtigen
nimmt, ist man in rund 30 Sekunden in der Hotellobby. Ich
nehme aber natürlich den falschen, und obwohl dieser nur rund
100m daneben liegt, ist das Resultat ein rund 15 minütiger
Fussmarsch durch einen der chaotischsten und hektischsten
Teile von Osaka (es ist rund 17 Uhr). Zwar könnte man meinen,
ein Hotel mit rund 50 Stockwerken, welches den ganzen Stadtteil
überragt, sei einfach zu finden. Man muss sich aber erstaunlich
weit davon entfernen, um es sehen zu können.
Bald bin ich aber in der herrlich gekühlten Lobby des Hotels und bringe die Formalität des Eincheckens schnell hinter mich. Im Zimmer wartet bereits mein Koffer auf mich und erschöpft lasse ich mich in den Sessel fallen und nehme ein Asahi aus der Minibar. Beim Durchblättern des Servicekatalogs des Hotels fällt mir sofort der Badeclub inkl. richtigem Schwimmbecken (allerdings ist es kein Olympiabecken, ich schätze, es ist ca. 40m lang) auf: Das ist in diesem Moment genau das Richtige. Ein kurzes Telefon und ein paar Minuten später bin ich bereits dort und ich kann mich einmal mehr den Annehmlichkeiten eines japanischen Bades hingeben. Auch das Becken ist ein Erlebnis: Da der Club im 11ten Stock ist, hat man beim Schwimmen einen imposanten Blick auf das langsam dunkler werdende Osaka und dessen Geschäftigkeit.
Beim Verlassen des Clubs erhalte ich noch einen Gutschein für einen freien Eintritt am nächsten Morgen, ein Angebot das ich bestimmt gerne nutzen werde. Zuerst organisiere ich mir noch schnell eine Fahrkarte für den Zug zum Kaisai Flughafen. Da das Hotel ja der Privatbahn gehört, welche diese Linie betreibt, kann ich dies bequem in der Hotelhalle erledigen. Auch die Diskussionen mit dem Bell Captain, dem ich am nächsten Tag mein Gepäck zur Beförderung nach Tokyo abgeben werde, sind schnell erledigt.
Nun stürze ich mich aber in das Gewühl der Stadt: Osaka ist
sehr viel lebendiger als Tokyo oder gar Kyoto. Ruhe und Beschaulichkeit
sucht man in dieser pulsierenden Metropole also vergebens.
An hunderten von Lokalen vorbei finde ich bald die Sushi-Bar,
in der ich schon im Vorjahr hervorragend gegessen hatte. Auch
an diesem Tag ist sie wieder bis auf den letzten Platz belegt:
ein sicheres Zeichen für Qualität. Nach kurzer Wartefrist
esse ich Sushi, wie ich es fast am liebsten mag: Ab dem Förderband.
Dies ist nicht nur billig und schnell, man wird auch immer
wieder in Versuchung geführt, noch einen Teller zu nehmen.
Auch die ausgelassene und unkomplizierte Stimmung und nicht
zuletzt das wirklich hervorragende Sushi machen dieses Lokal
für mich in Osaka zum Stammlokal. Leider kann ich Ihnen nicht
sagen, wo es zu finden ist, da eine Wegbeschreibung im Gewirr
der Einkaufsstrassen von Dotombori völlig aussichtslos wäre.
Lassen Sie sich bei der Auswahl eines Lokals aber einfach
von der einfachen Regel Je voller, desto besser
leiten,
dann können Sie sicher sein, eine gute Wahl getroffen zu haben.
Nach ein bisschen Bummeln und dem Besuch eines oder zwei Spielsalons
(Prügelspiele und UFO Catcher sind noch immer der Renner)
gehe ich zurück zum Hotel. In der Bar (als ob ich je an einer
Hotelbar vorbeilaufen könnte) bestelle ich einen Whiskey
mit nur einem Eis. Das hätte ich mir sparen können:
Das Designereis im Whiskey ist so riesig, dass es das halbe
Glas füllt. In Japan trinkt man Whiskey normalerweise mizuwari
,
d.h. mit Wasser und sehr viel Eis. Entsprechend hatte ich
immer wieder Mühe, das für mich richtige Mass zu erhalten.
Am Abend blicke ich auf die Tausenden und Abertausenden von Lichtern in dieser vibrierenden, pulsierenden Metropole voller Leben: welch ein Unterschied zum Anblick einiger Hirsche am Morgen in Miyajima! Japan, das hat sich heute einmal mehr in beeindruckender Weise gezeigt, ist ein Land, welches voller Gegensätze ist.
7. Tag, Osaka - Sapporo (Donnerstag, 30.4.)
Dieser Morgen ist ein typischer Morgen, den mein leicht stressiges
Programm (für welches ich allerdings selber verantwortlich
bin) mit sich bringt. In aller Frühe stehe ich auf, frühstücke
(europäisch, das japanische Restaurant macht leider nicht
so früh auf) und, kaum ist es offen, mache ich noch eine Stippvisite
im Bad. Danach geht es aber bereits zum Zug (das Gepäck habe
ich bereits abgegeben und ist auf dem Weg nach Tokyo), welchen
man vom Hotel aus in ca. 30 Sekunden (!) erreicht, ist der
Bahnhof ja im Untergeschoss gelegen. Der futuristische
Rapi::t ß
wartet bereits auf mich und bringt mich in einer
guten halben Stunde auf den modernen und herrlich unkomplizierten
Kaisai Flughafen. Bei der Bestellung des Tickets für den
Rapi::t ß
habe ich mich überzeugen lassen, eine ganze
Stunde früher als geplant zu fahren (daher auch das Gehetze
am Morgen). Da mein Flug ein Inlandflug ist und ich kein Gepäck
habe, ist das Einchecken nach 2-3 Minuten erledigt und ich
warte nun 1 Stunde und 15 Minuten auf den Flieger...
Als der Abflug immer näher rückt und die Japan Air keinerlei
Anstalten macht, die Leute an Bord gehen zu lassen, wundere
ich mich langsam, ob der Flug verspätet abfliegt. Allerdings
steht davon gar nichts auf den Tafeln und 10 Minuten vor Abflug
wird das Gate endlich geöffnet. Gute 5 Minuten später kenne
ich des Rätsels Lösung: Die fast vollbesetzte Boeing 747-400
wird in rund 5 Minuten mit den Passagieren beladen und kann
schon kurz darauf zur Rollbahn fahren. Dies ist eine angenehme
Abwechslung zum Ritual
welches in der Schweiz in solchen
Fällen das Einsteigen zum Geduldsspiel in den Gängen des Flugzeugs
machen.
So weit ich es beurteilen kann, befindet sich auf diesem Flug
nebst mir nur gerade ein einziger Ausländer, das Personal
nimmt sich dennoch die (offensichtliche) Mühe, alle Durchsagen
auch auf Englisch zu wiederholen. Einerseits kann ich dabei
wunderbar Japanisch üben: Da öffentliche Durchsagen in einem
sehr höflichen Japanisch gemacht werden und ich diese Form
auch in der Schule lerne, verstehe ich bei solchen Gelegenheiten
viel mehr, als wenn Leute normal
sprechen. Die englische
Übersetzung zeigt mir anschliessend gerade, ob ich es auch
richtig verstanden habe. Das zweite Schöne ist die Tatsache,
dass ich von meinem Platz genau beobachten kann, wie die Stewardessen
die Durchsagen machen: Zu dritt und mit kleinen Spickzetteln
sprechen Sie diese Sätze, welche sie doch bestimmt schon Dutzende
wenn nicht Hunderte von Malen geübt haben, mit sichtlicher
Mühe und mitunter grossen Pausen (... We will be arriving
at Sapporo at
Längere Pause, in der sie aufgeregt
diskutieren half past three
). Sie kümmern sich
aber sehr gut um mich und organisieren mir sogar englischsprachigen
Lesestoff. Als dann aber der Pilot seine Durchsage auf Englisch
übersetzt, staune ich ob des sehr schwer verständlichen Englisch
insbesondere von Zeiten und Zahlen. Ich frage mich, wie ein
japanischer Pilot und ein burmesischer Lotse sich so eigentlich
verstehen können?
Nach der recht rauhen Landung (bei starkem und recht böigem Seitenwind) sause ich sofort zum Bahnhof. Dort muss ich allerdings feststellen, dass hier definitiv nichts auf Englisch angeschrieben ist und ich muss mich erst einmal um Informationsmaterial über Sapporo bemühen: Von meinem nächsten Hotel, einem Ryokan, weiss ich ausser dem Namen nur noch, dass es irgendwo in Sapporo ist. Der Stadtplan ist eine positive Überraschung: Sapporo, welches von einem Amerikaner (!) geplant wurde, weist die selbe Schachbrettstruktur wie Städte in den USA auf. In dieser Beziehung ist Sapporo bestimmt die touristenfreundlichste japanische Stadt: Verirren ist eigentlich unmöglich und man findet alles sofort auf dem kürzesten Weg. Eine Adresse wie 5. West, 2. Nord mag ja unromantisch sein, praktisch ist sie aber allemal.
Auf meiner Fahrt Richtung Stadt fällt mir sofort auf, dass die Insel Hokkaido, deren Hauptort Sapporo ist, sehr dünn besiedelt ist. Entsprechend haben die Leute hier viel mehr Platz zum Wohnen und man würde es kaum glauben, überhaupt noch in Japan zu sein. Die Häuser sind auch deutlich winterfester und haben, des schweren Schnees im Winter wegen, Giebeldächer. Alles in allem erinnert die Landschaft und der Baustil (japanische Häuser sind oftmals recht bunt) an Nordeuropa. Im Zug beobachte ich auch die Leute und, ich weiss nicht ob es auf die Ainu oder das Klima zurückzuführen ist, es fällt sofort auf, dass hier ein anderer Menschenschlag lebt. Schon bald nimmt die Häuserdichte zu und ich fahre durch die Vororte von Sapporo.
Als ich am Hauptbahnhof aussteige bläst mir ein starker Wind ins Gesicht: Es ist hier deutlich kühler als in Osaka. Das Hotel sollte eigentlich ganz einfach zu finden sein und ich laufe los. Am Rathaus (mit dem Stern von Sapporo als Wappen, welcher auch die bekannte gleichnamige Biermarke ziert) und der Polizeistation, welche das grösste und modernste Gebäude in der ganzen Stadt ist, vorbei, lande ich plötzlich beim botanischen Garten. Erstmals habe ich etwas nicht gefunden und ich laufe einmal um den Block, kann aber noch immer keine Spur eines Hotels finden. Da dämmert es mir aber, dass es möglicherweise einfach nicht in Englisch angeschrieben sein könnte und ich es daher übersehen habe. Und tatsächlich finde ich bald etwas, was ein Hotel sein könnte und an welchem ich vorher einfach vorbeigelaufen war. Drin finde ich schnell heraus, dass es einerseits ein Hotel und andererseits das richtige ist und die Leute mich bereits erwarten.
Nach dem Einchecken und Zimmerbezug (d.h. ich habe einen Blick reingeworfen, Gepäck habe ich schliesslich keines) laufe ich los, um mir einen ersten Eindruck von Sapporo zu machen. Allerdings habe ich nur Augen für Restaurants, da es längst Mittag vorbei ist und ich ziemlich hungrig bin. Schnell habe ich ein günstiges Restaurant gefunden und ich esse zum ersten Mal eine der Spezialitäten von Sapporo: Krabben-Sashimi, welches tatsächlich sehr gut schmeckt.
Danach bummle ich ein bisschen in der Stadt und schaue mir die Odori-Promenade, Stätte des berühmten Schneefestes von Sapporo an. Die Promenade ist sehr grosszügig angelegt und erinnert viel eher an Frankreich als an Japan. Am einen Ende steht, in Japan mehr oder minder unvermeidlich, ein Sendeturm, den ich mir am nächsten Tag noch ansehen werde.
Bald muss ich zurück ins Hotel, wo ich mir zuerst ein Bad gönne und mir anschliessend aus der Minibar Sapporos bekanntestes Produkt nehme: Das gleichnamige Bier. Schon bald fängt die Angestellte an, mir ein riesiges Menü auf dem Tisch aufzubauen. Als ich schon mit Essen anfangen will, kommt sie plötzlich ganz aufgeregt ins Zimmer gestürzt: Sie hat mir das falsche Essen gebracht und räumt Schale um Schale wieder ab, nach fünf Minuten ist der Tisch wieder voll, diesmal mit dem richtigen Essen (wobei ich keinen grossen Unterschied feststellen konnte). Schnell zeigt sie mir noch, wie die einzelnen Speisen zu essen wären und will mir anschliessend noch etwas mitteilen.
Mein Japanisch reicht leider bei weitem nicht aus und ich verstehe
nur ein Wort: denwa
, also Telefon. Als sie realisiert,
dass ich nur Bahnhof (oder eben eki
) verstehe, rennt
sie schnell runter zum Empfang. Anschliessend kommt sie wieder
rauf und sagt ein einziges englisches Wort: Telephone
.
Nachdem sie realisiert, dass dies auch nicht viel hilft, holt
sie einen der Mitarbeiter vom Empfang. Dieser kann etwas mehr
Englisch (was allerdings nicht heisst, dass er mir sagen kann,
worum es geht) und er deutet mir, dass ich die Nummer 5 wählen
soll und drückt mir sogar den Hörer in die Hand. Vielleicht
will mich ja jemand aus der Heimat erreichen (wo ich die Nummern
der Hotels hinterlassen habe) und ich hoffe schon, dass zuhause
nichts passiert ist und wähle die 5 (welche mich mit der Rezeption
verbindet). Aber als jemand abnimmt, stellt sich heraus, dass
wir beide genausowenig Ahnung haben, warum wir telefonieren
sollten. Nach einigem Hin und Her wird endlich klar, dass
ich nach dem Essen anrufen soll, damit abgeräumt wird und
das Futon bereitgemacht wird... Die Welt mag zum globalen
Dorf mit totaler Kommunikation werden, in Japan kann es einem
aber immer noch passieren, dass man sich vorkommt, als wäre
man auf einem fremden Planeten gelandet.
A glass full of drops
Each drop is tomorrow's dream
Sip your dreams by drops
(Auf einem Suntory Bierglass gelesen)
Danach stürze ich mich aufs Essen, welches gemessen am günstigen Preis des Hotels (es war das mit Abstand billigste auf der ganzen Reise) sehr gut war. Zwei Tipps, sollten Sie mal einen Gemüsebouillon mit einem rohen Ei auf einem Kocher serviert erhalten: Erstens das Ei wird in den Bouillon geschlagen und verrührt und zweitens ist es sehr, sehr heiss. Letzteres habe ich nicht beachtet und ich habe mich noch zwei Tage an den ersten Löffel erinnert...
Nach dem Essen sage ich schnell in der Rezeption Bescheid (nein,
trotz all der Mühe habe ich dies nicht telefonisch erledigt)
und breche auf, um den bekannten Biergarten von Sapporo zu
besuchen. Sapporo ist das Zentrum der Bierbrauindustrie Japans
und ich kann mir dies kaum entgehen lassen. Dort angekommen
muss ich leider feststellen, dass in japanischen Biergärten
niemand nur ein Bier trinkt, sondern, wie in Japan üblich,
alle gleichzeitig am essen sind. Fast alle essen hier Tschingis
Khan
, eine lokale Spezialität, welches im Prinzip ein
üppigeres Shabu-Shabu
ist. Da ich bereits ein recht üppiges Abendessen hinter mir
habe und die einzelnen Lokale zum bersten voll sind, verzichte
ich darauf und fahre zurück nach Sapporo, wo ich mir noch
ein bisschen die Stadt bei Nacht anschaue und schliesslich
ins Hotel zurückkehre um zum letzten Mal auf einem richtigen
Futon zu schlafen.
8. Tag, Sapporo - Tokyo (Freitag, 1.5.)
Nach dem Frühstück (und einem ausgiebigen Bad, ich fange doch
langsam an, die Anstrengungen der Reise zu spüren und ich
muss meine müden Knochen ein bisschen ausruhen) breche ich
in Richtung Sapporo Tower auf, welchen ich natürlich ebenfalls
noch besteigen will. Der Sapporo Tower ist eine kleine Kopie
des Tokyo Towers
und bietet einen sehr guten Überblick über diese für Japan
ganz und gar untypische Stadt. Im Gegensatz zum Rest von Japan
ist Sapporo sehr geometrisch, übersichtlich und grosszügig
angelegt (während japanische Städte sonst in aller Regel furchtbar
chaotisch, total unübersichtlich und sehr eng sind). Wieder
unten auf der Odori-Promenade schlägt mir Die Internationale
entgegen: Auch in Japan ist der erste Mai der Tag der Arbeit
und ich schaue mir interessiert die Manifestationen an. Auch
wenn ich nicht verstehe, was die Sprecher fordern, kann ich
mir vorstellen worum es in den feurigen Reden gehen muss.
Auf jeden Fall weckt es den alten Klassenkämpfer in mir und
ich summe Die Internationale
mit, Völker hört die
Signale
kann ich leider nicht auf Japanisch...
Danach gehe ich weiter zum Hokkaido Schrein, einem der schönsten Shinto Schreine, welche ich in Japan gesehen habe. Da an diesem Tag auch ein religiöser Feiertag ist, habe ich eigentlich geplant, mir an einem der Dutzenden von Verpflegungsständen mein Mittagessen zu organisieren. Leider ist aber das Wetter einfach zu windig und trotz der Sonne, welche auch heute scheint, ist es mir zum Picknicken einfach zu ungemütlich.
Auf dem Weg zum Bahnhof bleibt mir noch ein bisschen Zeit und ich sehe mir den Botanischen Garten von Sapporo an. Mitten in diesem gibt es ein kleines Museum mit ausgestopften, z.T. ausgestorbenen Tieren, welche Hokkaido bevölkern bzw. bevölkert haben. Auch ein kleines Ainu-Museum ist auf dem Gelände, da ich keine Zeit mehr habe, das bekannte Ainu-Museum von Sapporo zu besuchen, kann ich mich dort trotzdem ein bisschen über die Ainu, die Ureinwohner Hokkaidos, schlau machen (welche soweit ich es beurteilen kann, viel mit den Inuit gemeinsam haben, deren Herkunft aber bis heute nicht ganz klar ist).
Nun muss ich aber bald los, schliesslich will ich noch etwas Essen. Am Bahnhof mit seinem grossen unterirdischen Einkaufszentrum (dies ist in Sapporo, wo im Winter auch mal 2 Meter Schnee liegen können, recht wichtig) gehe ich noch in einen Sushi Schnellimbiss und beginne zu realisieren, dass die Zeit langsam aber sicher knapp wird. Als ich aufs Ticket schaue sehe ich mit grossem Schrecken, dass der Flieger 30 Minuten eher, als ich es im Kopf hatte startet, es bleiben mir nur noch 50 Minuten. Da die Zugfahrt über eine halbe Stunde dauert wird es langsam knapp. Nach dem Bezahlen renne ich los und muss rund 15 Minuten auf den Zug warten. Als dieser endlich eintrifft und sich quälend langsam Richtung Flughafen bewegt, habe ich meinen Flieger innerlich bereits abgeschrieben. Gemäss Fahrplan trifft der Zug nur 4 Minuten vor Abflug ein. Also mache ich bereits alternative Pläne und beschliesse, eine weitere Fahrt im Zug zu unternehmen. Seit der Eröffnung des Seikan-Tunnels ist Hokkaido mit Honshu verbunden und somit bei jedem Wetter erreichbar. Der Tunnel, ein Wunder modernen Tunnelbaus, ist nicht nur mit 53.85 km der längste Tunnel der Welt sondern wurde darüber hinaus durch eine der seismisch aktivsten Gegenden der Welt gebaut, stossen doch gleich drei grosse tektonische Platten vor Japan zusammen: Die eurasische im Westen, die pazifische im Osten und die philippinische im Süden. Diese sind nicht nur für die Existienz Japans sondern auch die häufigen Erdbeben, Tsunamis (durch unterseeische Beben verursachte Flutwellen) und Vulkanausbrüche verantwortlich.
Aber noch ist der Flieger nicht weg und ich renne, als der Zug auf die Sekunde pünktlich eintrifft, los. Nach rund 2 Minuten bin ich am Check-In Schalter der Japan Air und, da ich kein Gepäck habe, habe ich sogar noch Zeit aufs Klo zu gehen um, 30 Sekunden vor Abflug, noch schnell an Bord zu gehen. Ich habe es also einmal mehr auf den letzten Drücker geschafft und der Seikan-Tunnel muss auf ein anderes Jahr warten.
Nach einem ereignislosen Flug nähern wir uns Tokyo und, da der Flieger auf dem, der Metropole viel näher liegenden Inlandsflughafen Haneda landen wird, wird uns ein atemberaubender Blick auf ganz Tokyo und der Bucht von Tokyo geboten. Von Haneda aus geht es zuerst mit der Monorail und dann mit der U-Bahn nach Shinjuku. Dort kaufe ich noch schnell was zu essen und gehe dann direkt ins Hotel zurück, ich bin langsam erschöpft und möchte mich in den letzten zwei Tagen noch ein bisschen erholen.
9. Tag, Toyko (Samstag, 2.5.)
Der letzte Tag in Tokyo war eigentlich zum Entspannen gedacht und so schlafe ich mal (fast) aus: Da es nur bis 10:00 Uhr japanisches Frühstück gibt, muss ich dennoch um 9:00 Uhr aufstehen. Danach gehe ich allerdings noch einmal für 2 Stunden schlafen und breche dann Richtung Meji Schrein auf: Im Fernsehen habe ich gesehen, dass dort heute ein grosses Fest stattfindet und man sich dies als Tourist auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Im Meji-Schrein angekommen muss ich aber feststellen, dass das Fest bereits vorüber ist: Ich hätte die Aufforderung, am Morgen früh zu kommen, wohl doch ernster nehmen sollen.
Jetzt muss ich noch erledigen, was ich die ganzen Ferien vor
mich hergeschoben habe: Ich muss o-miyage
kaufen. In
Japan ist es üblich, dass wenn einer eine Reise tut, er den
daheim Gebliebenen etwas mitbringt. Eines der beliebtesten
und sinnvollsten Geschenke sind dabei Backwaren aller Art,
besonders Süssigkeiten mit Grüntee und süsser Bohnenfüllung.
Also nehme ich die U-Bahn in Richtung Ginza wo die Lebensmittelabteilungen
der berühmten Warenhäuser Hunderte von Sorten bereithalten.
Wie auch bei uns ist der Samstag allerdings ein recht beliebter
Einkaufstag (obwohl der umsatzstärkste Tag der Sonntag ist)
und so präsentiert sich die Ginza wie sich bei uns die meisten
Leute ganz Japan vorstellen: Tausende von Japanern auf Shoppingtrip
und ein Verkehrchaos sondergleichen.
Beim Einkaufen von japanischen Süssigkeiten muss man sich ein
bisschen vor Augen halten, dass Europäer sich diese nicht
gewohnt sind und ich versuche ein bisschen, normale
Sachen, von denen ich mehr oder minder sicher bin, dass es
den meisten Leuten schmeckt, zu organisieren. Dies ist eine
nicht ganz einfache Sache und ich muss für Zuhause, fürs Büro
und für die Japanischklasse etwas mitbringen. Nach einer Stunde
suchen gehe ich noch nach Shinjuku, nebst der Ginza der zweiten
Shoppinghochburg Tokyos. Völlig erledigt, aber mit 6 Schachteln
Süssigkeiten, von denen ich sehr gespannt bin, wie sie so
schmecken werden, kehre ich am Abend zurück. Ich schaffe es
nur noch ins nahegelegene NS Gebäude, wo ich mir ein Sashimi,
ein paar Yakitori und einige Biere gönne. Vom Restaurant hat
man einen guten Blick auf das einnachtende Tokyo und ich realisiere,
dass mit dem Tag auch meine Ferien unwiderruflich zu Ende
gehen.
Ich disloziere ein letztes Mal in die Polestar Bar, in der ich mir, für einen Schweizer fast schon ein Scherz, noch eine Käseplatte bestelle (welche sehr gut war, war der Käse doch ausnahmslos aus Frankreich und der Schweiz importiert und von bester Qualität). Ich stelle dabei fest, dass Käse und Whiskey ganz gut zusammen passen und ich lasse mir die vergangenen 9 aufregenden und interessanten Tage vor meinem geistigen Auge Revue passieren.
10. Tag, Abreise von Tokyo (Sonntag, 3.5.)
Am Morgen klappt alles wie immer tadellos und ich nehme nach dem Frühstück den Bus, welcher mich nach Narita bringt, von wo es endgültig Abschied von Japan zu nehmen gilt. Zwar ist es auch immer irgendwie schön, von Ferien zurückzukehren, ich wäre aber auf jeden Fall gerne noch ein paar Tage geblieben. Leider ist der sehr günstige Flug nicht umbuchbar und ich kann nicht noch ein paar Tage nach Miyajima fahren, wo ich mich gerne noch ein bisschen von den Ferien erholt hätte. Einchecken, Passkontrollen etc. sind so zur Routine geworden, dass ich es kaum mehr mitbekomme und schon bald sitze ich in einer weiteren Boeing 747-400 der Japan Air, welche mich zurück in die Schweiz bringen wird. Ausnahmsweise fliegen wir mit Verspätung ab und kommen mit einer ebensolchen in Zürich, wo mich meine Schwester abholt, an.
Nachwort
Zum Abschluss der Reise stelle ich mir selber die Frage, welches denn nun die besseren Ferien waren: Alleine oder mit einer geführten Gruppe. Ich persönlich würde jedem, der zum ersten Mal nach Japan reist, eine geführte Reise empfehlen. Diese ist nicht nur komfortabler, da man sich um gar nichts kümmern muss und mit Bussen überallhin gefahren wird, sondern auch interessanter. Zwar gibt es recht gute Reiseführer, mit denen man ebenfalls eine ganze Menge über die besuchten Sehenswürdigkeiten erfährt, aber häufig ist man dann doch zu müde, nach der ganzen Reiserei noch in einem dicken Reiseführer zu lesen. Weiter ist es eindeutig ein Problem in Japan, dass man die Leute auf der Strasse nur sehr schlecht nach etwas fragen kann. Nach dem Weg zu fragen geht zwar noch recht gut, häufig sieht man aber Dinge des täglichen Lebens, welche uns völlig unbekannt sind und deren Bedeutung in üblichen Reiseführern nicht nachzuschlagen sind. In solchen Situationen ist ein japanischer (!) Reiseführer aus Fleisch und Blut ein Riesenvorteil.
Idealerweise würde eine Japanreise daher wie folgt aussehen: 2 Wochen geführte Rundreise, in denen die üblichen Destinationen (Tokyo, Kyoto, Nara, etc.) abgeklappert werden. Anschliessend müsste man noch mindestens 1 Woche alleine weiterreisen um sich jenseits der ausgetrampelten Touristenpfade noch einen individuelleren Einblick in Land und Leute zu eröffnen. Weiter würde ich empfehlen, sich ein paar Tage an einem der vielen ruhigen und schönen Orte zu gönnen (wie etwa Miyajima), um sich ein bisschen zu erholen (dafür wären Ferien ja eigentlich da) und Japan auch mal von der ruhigeren Seite kennenzulernen.